Geschichte für die einen, bittere Gegenwart für die anderen
DAHW erinnert zum Welt-Lepra-Tag am 30. Januar 2022 an das Schicksal von hunderttausenden von Lepra betroffenen Menschen.
(Würzburg, 12. Januar 2022) Der Fund eines Leprafriedhofs in Freiburg sorg-te Ende 2021 für Schlagzeilen. „Was für die einen eine historische Entde-ckung ist, ist für andere bittere Gegenwart“, stellt Burkard Kömm, Ge-schäftsführer der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. anläss-lich des 68. Welt-Lepra-Tags am 30. Januar 2022 fest. „In industrialisierten Ländern ist Lepra längst ein Thema für die Geschichtsbücher. Doch im Glo-balen Süden erkranken immer noch Hunderttausende jährlich an dieser In-fektionskrankheit, die für Betroffene schwerste Behinderungen, Ausgren-zung und Armut zur Folge haben kann.“ Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat neue Strategien definiert, um Lepra und weitere vernachlässigte Tropenkrankheiten (NTDs) bis 2030 endlich weltweit auszurotten. „Aber der Kampf gegen armutsassoziierte Krankheiten ist komplex“, weiß Kömm. „Um die ambitionierten Ziele trotz knapper Ressourcen zu erreichen, müssen die nationalen und internationalen Akteure noch enger zusammenarbeiten.“
Vor 65 Jahren hat die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e. V. den Kampf gegen Lepra und andere armutsbedingte und vernachlässigte Krankheiten aufgenommen. Viel wurde seitdem erreicht: Die Einführung der „Multi-Drug-Therapy“ (MDT), die von der DAHW in den 1980er-Jahren mitentwickelt wurde, führte zu einer drastischen Reduktion der weltweiten Fallzahlen. In zahlreichen endemischen Ländern baute die DAHW nationale Lepra-Kontrollprogramme mit auf. Und in den 2010er-Jahren gelang es, die Post-Expositions-Prophylaxe zu entwickeln, mit der sich Angehörige von Lepra-Patient:innen vor einer Übertra-gung schützen können. Eben diese Erfolge drohen nun, das Problem wieder zu vergrößern. „Je weniger Menschen betroffen sind, desto weniger Aufmerksamkeit erhält eine Krankheit in Wissenschaft und Forschung, aber auch in der Politik“, klärt DAHW-Geschäftsführer Burkard Kömm auf. „Damit schwindet auch mühsam aufgebautes Wissen und Bewusstsein für die Krankheit bei medizinischem Perso-nal und in den Gesellschaften. Erkrankungen werden nicht oder zu spät erkannt und vermeidbare Behinderungen nehmen wieder zu.“
Vernachlässigte Krankheiten – vernachlässigte Menschen
Obwohl Lepra als älteste bekannte Infektionskrankheit der Menschheit gilt, weiß man erstaunlich wenig über sie. Das hat Lepra mit den anderen vernachlässigten Tropenkrankheiten (neglected tropical diseases, NTDs) gemeinsam. „Die Über-tragungswege der Lepra und die Rolle des tierischen Reservoirs, beispielsweise bei kürzlich entdeckten wildlebenden Schimpansen, ist noch völlig ungeklärt“, führt Kömm aus. „Es gibt keine einfachen und zuverlässigen Diagnostika, mit de-nen ungeschultes Gesundheitspersonal Lepra-Patient:innen auch in den einfach ausgestatteten Gesundheitszentren in den ländlichen Gebieten identifizieren kön-nen. Und es fehlt an Diagnosemöglichkeiten für eine Lepra-Infektion. Wir müssen auf den Ausbruch der Krankheit warten, bis wir sie eindeutig feststellen können“, so Burkard Kömm.
In Verbindung mit der langen Übertragungszeit von bis zu 20 Jahren, der Angst der Betroffenen vor Stigmatisierung, fragilen Gesundheitssystemen und einer – infolge der Corona-Pandemie zusätzlich – unzulänglichen Fallsuche in schwer zugänglichen Regionen werde deutlich: „Das Problem Lepra ist facettenreich. Sie zu eliminieren oder gar auszurotten, erfordert ganzheitliche, sektorübergreifende Ansätze und dringend mehr Kapazitäten. Die Vernachlässigung der Krankheiten ist eigentlich eine Vernachlässigung der Menschen, die betroffen sind.“
Keine Zeit für Lippenbekenntnisse
Auch wenn man von dem großen Ziel einer „leprafreien Welt“ mit rund 200.000 Neuerkrankungen pro Jahr noch weit entfernt ist und die COVID-19-Pandemie einige Fortschritte wieder zunichte gemacht hat, gibt es Anlass zur Hoffnung. „Die neue Lepra-Strategie und die neue Roadmap zur Bekämpfung von NTDs, zu de-nen die Lepra zählt, sorgt für neuen Schwung in der Szene“, berichtet Kömm, der 2020 erneut in den Vorstand der Internationalen Vereinigung der Lepra-Hilfswerke ILEP gewählt wurde. Aber wie die Bemühungen gegen den Klimawandel zeigen: Ambitionierte Ziele zu formulieren ist das eine. Wirklich das zu tun, was nötig ist, um sie zu erreichen, das andere. Es dürfe nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben, meint Kömm. Die Strategien müssen mit Personal und Ressourcen unterfüttert werden. „Lepra und andere armutsbedingte Krankheiten werden wir nur besiegen, wenn wir die komplexen Zusammenhänge verstehen und aufbrechen.“
Die ILEP, die Global Partnership for Zero Leprosy (GPZL), United to Combat NTDs (UTC), die WHO, die nationalen Gesundheitsministerien und Kontrollpro-gramme: Sie alle haben verstanden, dass die bisherigen vertikalen Krankheits-programme durch horizontale Gesundheitsdienstleistungen abgelöst werden müssen. Ein gutes Beispiel für einen effektiven Ansatz sind sog. Skin-Camps: „Zusammen mit unseren lokalen Partnern und freiwilligen Gesundheitshelfer:innen bieten wir an mobilen Stationen in endemischen Gemeinden medizinische Ver-sorgung von verschiedenen Hautkrankheiten an – darunter Lepra, Buruli Ulcer oder Lymphatische Filariose“, erklärt Kömm. „So nutzen wir Synergien und sen-ken zugleich stigmabedingte Hemmschwellen bei Betroffenen.“ Synergien böte auch der One-Health-Ansatz: „Da die meisten NTDs Zoonosen sind, forcieren wir die Zusammenarbeit von Human-, Veterinär- und Umweltmedizin.“ Zudem werde der Austausch in regelmäßigen ILEP-Koordinationsmeetings intensiviert und die GPZL führe in ausgewählten Projektländern Evaluationen durch. „Wenn wir die spezifischen, individuellen Probleme in den endemischen Regionen kennen, kön-nen wir unsere Maßnahmen passgenau darauf zuschneiden. Ein Muss in Anbe-tracht der begrenzten Mittel, die uns zur Verfügung stehen.“
100 % committed – 100 % verpflichtet
Das Motto des diesjährigen Welttags gegen NTDs, der 2022 auf den Welt-Lepra-Tag fällt, lautet „100 % committed“ („100 % verpflichtet“). Burkard Kömm stellt klar: „Die Weltgemeinschaft hat sich mit den nachhaltigen Entwicklungszielen dazu verpflichtet: Gesundheit für alle, Armut besiegen, niemanden zurücklassen. Wenn wir es damit ernst meinen, darf weltweit kein Mensch mehr unter Lepra und ihren Folgen leiden.“ Unter dem Motto“United for Dignity“ (Vereint für Würde) ruft daher die ILEP Internationalen Vereinigung der Lepra-Hilfswerke dazu auf, ge-
meinsam die Würde von Menschen mit Lepra zu achten. Die Kampagne würdigt die Lebenserfahrungen von Menschen mit Lepra, indem sie ihre ermutigenden Geschichten erzählt und für psychisches Wohlbefinden sowie das Recht auf ein würdevolles Leben frei von krankheitsbedingter Stigmatisierung eintritt.
Quelle :Landkreis-Miltenberg.de