Für sieben der insgesamt zehn Neuaufnahmen in das Bayerische Landesverzeichnis des Immateriellen Kulturerbes überreichte heute Finanz- und Heimatminister Albert Füracker die Aufnahmeurkunden in der Residenz München:
Handweben
Die weltweit verbreitete, sehr alte Kulturtechnik des Handwebens ist eng mit dem Grundprinzip des Flechtens verbunden. Beim Handweben handelt es sich um die Herstellung von Geweben an Webrahmen, Flachwebstühlen oder anderen nichtmaschinellen Webgeräten durch die rechtwinkelige Verkreuzung von Fäden auf einer oder mehreren Ebenen. Die Erfindung des vollmechanischen Webstuhls im 18. Jahrhundert bedeutete das Ende der häufig in Heimarbeit durchgeführten Produktion und führte zur Verarmung der Weberfamilien. Im 20. Jahrhundert gab es zukunftsweisende Impulse aus der Kunstgewerbebewegung, dem Werkbund und dem Bauhaus. Das Handweben erfuhr somit eine neue Ausrichtung und Wertschätzung. Heute wird das Handweben vor allem im Kunsthandwerk ausgeführt. Die lose organisierten, aber vielfältig vernetzten Trägergruppen geben das Wissen und Können rund um das Handweben, z. B. den Aufbau und die Funktion der Webstühle, Faserkunde, Farbenlehre und Bindungstechniken, durch Kurse, Literatur, das Internet, Webermärkte, Museen und Ausstellungen weiter. Sie fördern damit den Erhalt dieser traditionellen Handwerkstechnik.
Holzbildhauerschulen in Bayern – Vermittlung von tradiertem Handwerk und dessen Weiterentwicklung (Gutes Praxisbeispiel)
Die fünf in Oberbayern und Unterfranken ansässigen Fachschulen für das Holzschnitzer- und Holzbildhauerhandwerk wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Strukturförderung gegründet. Den Schulen in München, Bischofsheim a. d. Rhön, Garmisch-Partenkirchen, Berchtesgaden und Oberammergau ist es ein großes Anliegen, durch die Verbindung von Theorie und Praxis gut ausgebildete, kreative und zum eigenen Arbeiten fähige Holzschnitzerinnen, Holzschnitzer, Holzbildhauerinnen und Holzbildhauer hervorzubringen. Im Rahmen der Ausbildung werden nicht nur die Geschichte und Tradition des Berufs vermittelt, sondern auch auf die veränderten Rahmenbedingungen und den Markt unserer Zeit eingegangen. Die bayerischen Holzbildhauerschulen gelten als herausragendes Beispiel für die Vermittlung von traditionellen Handwerkstechniken. Erlernt werden beispielsweise die Eigenschaften und Verarbeitungsmöglichkeiten von Holz, räumliches Begreifen und Umsetzen sowie Wissen und Können in den Bereichen Zeichnen, Modellieren, Kunstgeschichte, kaufmännisches Wissen oder computergestützte Zeichenprogramme. Die Fachschulen sind eng in die regionalen Strukturen eingebunden und fördern damit die regionale Identitätsbildung.
Holzkirchener Kerzenwallfahrt zum Bogenberg
Seit dem 15. Jahrhundert ist die Fußwallfahrt von Holzkirchen im niederbayerischen Markt Ortenburg zur Wallfahrtskirche „Mariä Himmelfahrt“ auf dem Bogenberg nachweisbar. Die jährlich an Pfingsten stattfindende 75 Kilometer lange Wallfahrt geht auf ein legendenhaftes Gelöbnis aus den Jahren 1473/74 zurück. Der älteste schriftliche Beleg ist eine Handschrift von 1518 aus dem Kloster Oberalteich. Von Pfingstsamstag bis Pfingstsonntag sind 30 bis 50 Wallfahrende aus Holzkirchen, begleitet von 300 bis 400 Personen aus der Umgebung, mit einer ca. 12 Meter langen Kerze auf dem Weg zum Bogenberg. Dem Brauch nach wird die „lange Stang“ genannte Kerze, für die ein Fichtenstamm mit Wachsschnüren umwickelt wird, während der Wallfahrt auf den Schultern zweier Träger und an manchen Streckenabschnitten mit einer besonderen Tragetechnik von einem einzigen Mann aufrecht getragen. Die Kerzenwallfahrt finanziert sich durch Beiträge und Spenden des 2014 gegründeten Wallfahrtsverein.
Kirchseeoner Perchtenlauf
Der oberbayerische Kirchseeoner Perchtenlauf wurde erstmals im Winter 1953/54 zur Förderung des Fremdenverkehrs durchgeführt. Seitdem etablierte sich der winterliche Umzug der maskierten Gestalten als Brauch und ist impulsgebend für andere Orte. Um die 80 Maskenläuferinnen und Maskenläufer absolvieren in der Adventszeit und in den Raunächten bis zu elf Perchtenläufe. Die Perchten ziehen in Gruppen, begleitet durch Getrommel, Glocken und Fackeln durch die Gemeinde und führen dabei Tänze, Gesänge und Sprüche auf. Die Kostüme, Masken, Requisiten und Abläufe sind teilweise an ältere Brauchgestalten und -formen angelehnt, aber auch neu erfunden. Die Mitglieder der Perschten-Stiftung Kirchseeon und des Perschtenbund Soj sind das ganze Jahr über aktiv: sie üben die Tänze ein und kümmern sich um die Instandsetzung alter und die Herstellung neuer Masken und Gewänder. Seit 2021 gibt es mit dem sogenannten „Maskeum“, ein eigenes Museum für den Kirchseeoner Perchtenlauf.
Münchner Marionettentheater
Das Münchner Marionettentheater kann auf eine bereits 160-jährige Tradition zurückblicken und hat einen festen Platz im städtischen Kulturleben. Es war das erste feste Puppentheater Deutschlands und zählt heute jährlich ca. 25.000 Besucherinnen und Besucher. Berühmt geworden sind die spezifische Figur des Kaspers Larifari und die speziell für das Marionettentheater geschriebenen Stücke von Franz Graf von Pocci. Seit dem Jahr 2000 gibt es neben den Stücken, für die ausschließlich Marionetten verwendet werden, auch weitere Figurentheaterformen. Zum breiten Repertoire des Theaters zählen klassische und zeitgenössische Stücke sowie Kindermusicals. Neben dem Spielbetrieb werden Führungen, Workshops und Seminare angeboten. Seit 2010 hat das Münchner Marionettentheater außerdem eine Außenstelle auf der „Oidn Wiesn“.
Nördlinger Stabenfest
Jährlich im Mai findet in Nördlingen das Stabenfest statt. Über 2.000 Schulkinder feiern an einem Montag den schönsten Schultag des Jahres mit einem Festumzug durch die historische Altstadt. Am Marktplatz werden Gedichte und Lieder vorgetragen, bevor sich der Festzug weiter zur Festwiese mit anschließendem Familienfest begibt. Das traditionelle Stabenfest hat seinen Ursprung in verschiedenen Schulfesten, die seit dem 15. Jahrhundert belegt sind. Die heutige Form als Bürger- und Volksfest entwickelte sich im 19. Jahrhundert. Höhepunkte und zentrale Bestandteile sind der „Stabengucker“ (eine mit Süßigkeiten gefüllte Tüte), das „Stabenlied“, das „Stabenklettern“ (Erklimmen eines Baumstammes) und die „Stabenwurst“.
Oktoberfest-Landesschießen und Oktoberfest-Armbrust-Landesschießen
Seit dem 19. Jahrhundert wird mit dem Oktoberfest-Landesschießen im Rahmen des Münchner Oktoberfests ein Preisschießen veranstaltet, das heute mit Luftdruckwaffen ausgeführt wird und für alle Interessierten zugänglich ist. Gleichzeitig findet das Oktoberfest-Armbrust-Landesschießen statt. Das Landesschießen findet in besonderen Anlagen statt, das Armbrust-Landesschießen im Armbrustschützenzelt. Mehr als 10.000 Schützinnen und Schützen nehmen an den beiden Wettkämpfen teil. Schützenkönigin oder Schützenkönig kann nur werden, wer Mitglied im Bayerischen Sportschützenbund e. V. ist. Zu den Preisen gehören die Schützenketten (wertvolle Silberschmiedearbeiten). Die Schützen beteiligen sich in ihren Vereinstrachten auch am Trachten- und Schützenzug am ersten Oktoberfestsonntag. Zum Abschluss des Oktoberfests findet das „Abböllern“ statt, der Ehrensalut der Münchner Böllerschützen auf den Stufen unterhalb der Bavaria.
Seit 2003 stellt die UNESCO im Rahmen des „Übereinkommens zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes“ kulturelle Ausdrucksformen in den Fokus der Öffentlichkeit. Überall auf der Welt sollen überliefertes Wissen und Können, die einen wesentlichen Bestandteil unserer Alltagskulturen ausmachen, als Immaterielles Kulturerbe sichtbar gemacht sowie Maßnahmen unterstützt werden, die zur Erhaltung und Weiterentwicklung geeignet sind. Bis heute sind 180 Staaten dem UNESCO-Übereinkommen beigetreten. Deutschland ist seit 2013 Vertragsstaat. Neben dem Bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes gibt es in Bayern ein eigenes Landesverzeichnis. Der Freistaat arbeitet zur Förderung des Erhalts des Immateriellen Kulturerbes eng mit der Beratungs- und Forschungsstelle IKE Bayern bzw. dem Institut für Volkskunde der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zusammen. Weitere Informationen sind zu finden unter
Weiterführende Links:
Titel Bilder: Symbolbilder Bayern by Pixabay.com
https://wertheimerportal.de/faktencheck-tauben-sind-keine-ratten-der-luefte/