Einsamkeit macht krank. Mit beklemmenden Zitaten verdeutlicht Reinickendorfs Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU), warum sie seit 2017 beharrlich versucht, die Öffentlichkeit für dieses drängende Problem mitten in unserer Gesellschaft zu sensibilisieren: „Einsamkeit ist, wenn ein Mensch fühlt, dass er von niemandem gebraucht wird. Wenn mich niemand umarmt. Wenn ich weiß, dass niemand an mich denkt. Wenn niemand Freude oder Schmerz mit mir teilt.“
Das Bezirksamt Reinickendorf schafft nun als bundesweit erste Kommune eine Vollzeitstelle für eine bzw. einen Einsamkeitsbeauftragten. Vor der Presse erläuterte Bezirksbürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner heute dieses Vorhaben:
„Es müssen Strukturen geschaffen werden, die weit über eine gewisse Art der ‚Eintagsfliegen-Beschäftigung‘ hinausgehen. ‚Einsamkeit‘ ist unabhängig von Alter und Geschlecht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Neben einer sensiblen Aufklärung und Kommunikation müssen administrative Strukturen geschaffen werden. Das packen wir mit dieser bezirklichen Beauftragten-Stelle nun an“, so die Bürgermeisterin.
Sie verwies auf Japan und England, wo es bereits Einsamkeits-Ministerien gebe. „Diesen Vorreitern wollen wir nacheifern, um die Einsamkeit nicht nur zu bekämpfen, sondern auch vorzubeugen“, ergänzt Demirbüken-Wegner. So suche sie bewusst auch den Kontakt zu Hausärzten, denn dort seien u.a. einsame Menschen mit Migrationshintergrund anzutreffen. Denn die Ärzte sollten präventiv lieber „gesellschaftliche Teilhabe“ als Medikamente verschreiben können. „Das muss die Politik den Ärzten aber erst noch ermöglichen“, sagt die Bürgermeisterin.
Von der neuen Stelle erwartet der Bezirk vor allem ein Rahmenkonzept, das aufzeigt, wo in Reinickendorf sich Betroffene aufhalten, welche Anlaufpunkte sie in der nahen Umgebung finden und welche Kräfte erst noch zu bündeln sind. Eine Datenbank, mehrsprachige Angebote, Fachforen und Öffentlichkeitsarbeit sind weitere Ziele.
In Berlin ist inzwischen jeder zehnte Einwohner von Einsamkeit betroffen, so dass Berlin bereits als „Hauptstadt der Einsamkeit“ bezeichnet wird. Altersarmut verstärkt die Gefahr der Vereinsamung. Reinickendorf zählt mit 23,05 % an Einwohnern über 65 Jahren zu den Bezirken mit der ältesten Bevölkerungsstruktur (der Berliner Durchschnitt liegt bei 20 %). Im Juni 2023 betrug die Zahl der Menschen ab 65 Jahren 61.834. Zudem wird bis 2030 die Gruppe der Hochaltrigen (Ü85), in der jeder Dritte pflegebedürftig ist, um 30 % angewachsen sein. Statistisch gesehen sind in Reinickendorf mindestens 26.600 Bürgerinnen und Bürger von Einsamkeit betroffen. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher.
Zugleich betrifft Einsamkeit nicht allein ältere Menschen: 30 Jahre ist der erste große Einsamkeitsgipfel, danach folgen 60 Jahre, und ab 80 steigt die Kurve besonders steil an. Großstadt-Singles sind ebenfalls betroffen: Jeder fünfte Mensch in Deutschland ist einsam. Etwa 15 % der Deutschen (etwas jeder Sechste) fühlten sich schon vor der Pandemie einsam. (Angaben des Deutschen Roten Kreuzes).
Im Dezember 2022 lud Demirbüken-Wegner lud erstmals zum Einsamkeitsgipfel nach Reinickendorf ein, der zweite ist für Ende 2024 geplant.
Noch bis 6. Oktober läuft die Stellen-Ausschreibung. Gesucht werde eine Person, die neben der Expertise vor allem Herz und Empathie mitbringt.
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