Umfrage: Knapp jede dritte Person hat Diskriminierung erlebt
Fast jeder dritte Mensch in Deutschland hat in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erlebt. Das ist ein zentrales Ergebnis der umfassenden Erhebung „Diskriminierung in Deutschland“, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in der Bundespressekonferenz in Berlin vorgestellt hat.
Vergleichsweise häufig wird demnach Benachteiligung aufgrund des Alters (14,8 Prozent) erlebt, gefolgt von Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (9,2 Prozent). Besonders häufig sind Benachteiligungen im Job verbreitet: Fast die Hälfte der Befragten (48,9 Prozent), die Diskriminierung erlebt haben, berichten von Benachteiligung im Arbeitsleben.
„Diskriminierung ist alles andere als ein Nischenthema“
, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse. „Jeder Mensch kann betroffen sein. Es ist also in unser aller Interesse, mit ganzem Einsatz gegen jede Form von Diskriminierung anzugehen.“
Die Befragung der Antidiskriminierungsstelle basiert auf zwei Säulen: In einer repräsentativen Umfrage des Bielefelder Forschungsinstituts SOKO Institut für Sozialforschung und Kommunikation wurden rund 1.000 Personen ab 14 Jahren bundesweit telefonisch befragt. Diese Ergebnisse geben einen Überblick darüber, wie verbreitet Diskriminierung in Deutschland ist.
In einer umfassenden schriftlichen Betroffenenbefragung konnten überdies alle in Deutschland lebenden Menschen ab 14 Jahren über selbst erlebte oder beobachtete Diskriminierungserfahrungen berichten. Mehr als 18.000 Personen haben sich beteiligt und knapp 17.000 selbst erlebte Diskriminierungssituationen beschrieben. Die Umfrage wurde gemeinsam mit dem Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Berliner Humboldt-Universität durchgeführt. Die Betroffenenbefragung ist damit die größte, die es bislang in Deutschland zu diesem Thema gegeben hat.
„Der Rücklauf hat unsere Erwartungen übertroffen“
, sagte Lüders. „Für uns ein klares Zeichen: Die Menschen wollen über Diskriminierung sprechen, und sie erwarten, dass das Thema nicht kleingeredet wird.“
Deutlich werde dies auch in einem weiteren Ergebnis der Befragung, ergänzte Lüders: Wer Diskriminierung erlebt, nimmt das mehrheitlich nicht einfach hin. Rund sechs von zehn Betroffenen (59,6 Prozent) haben darauf reagiert, etwa indem sie versucht haben, öffentlich auf Diskriminierung aufmerksam zu machen oder Beratungsangebote genutzt haben.
„Die Menschen sind nicht gewillt, Diskriminierung einfach zu erdulden“
, sagte Lüders. Sie brauchten aber mehr und bessere Unterstützung: „Knapp zehn Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist es höchste Zeit für eine rechtliche Stärkung der Menschen, die Diskriminierung erleben. Auch sollten wir jetzt eine Fortentwicklung des gesetzlichen Diskriminierungsschutzes in den Blick nehmen.“
Lüders regte deshalb ein eigenes Klagerecht für Diskriminierungsverbände sowie die Antidiskriminierungsstelle an: „Es muss endlich möglich sein, Betroffene vor Gericht effektiv zu unterstützen – wie es in vielen anderen europäischen Ländern längst möglich ist.“
Zentrale Ergebnisse:
Diskriminierungserfahrungen sind weit verbreitet
Befragt nach Diskriminierungen aufgrund eines der im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannten Merkmale (Alter, Behinderung, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, sexuelle Identität), geben in der Repräsentativbefragung 31,4 Prozent der Menschen in Deutschland an, in den vergangenen zwei Jahren Benachteiligungen erlebt zu haben.
Wenn auch die vom Gesetz nicht geschützten Merkmale, etwa die „soziale Herkunft“, der Familienstand oder das Aussehen, hinzugezählt werden, berichten 35,6 Prozent von Diskriminierungserfahrungen.
Benachteiligungen aufgrund des Alters werden am häufigsten erlebt: Etwa jede siebte Person (14,8 Prozent) gibt an, hier Erfahrungen gemacht zu haben. Aufgrund des Geschlechts bzw. der Geschlechtsidentität wurde laut Befragung fast jede zehnte Person diskriminiert (9,2 Prozent), aufgrund der Religion oder Weltanschauung 8,8 Prozent, der ethnischen Herkunft 8,4 Prozent, einer Behinderung 7,9 Prozent und der sexuellen Orientierung 2,4 Prozent aller Befragten. Anhand der Betroffenenbefragung, in der die Teilnehmenden ausführlich einzelne Diskriminierungserfahrungen schildern konnten, wird deutlich, dass Benachteiligung häufig aufgrund mehrerer Merkmale gleichzeitig stattfindet, etwa aufgrund des Geschlechts und des Alters.
Besonders hohes Diskriminierungsrisiko im Arbeitsleben
Diskriminierung kommt in allen Lebensbereichen vor, besonders häufig jedoch beim Zugang zu Beschäftigung und am Arbeitsplatz. Von Benachteiligungen in diesem Bereich berichteten fast die Hälfte (48,9 Prozent) der Menschen, die in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erlebt haben.
Wie ein vertiefender Blick auf die Betroffenenbefragung zeigt, kommen Diskriminierungen im Arbeitsleben vergleichsweise häufige aufgrund des Lebensalters sowie des Geschlechts vor. Wegen ihrer sexuellen Orientierung oder aus rassistischen Gründen werden Menschen hingegen überdurchschnittlich häufig in der Öffentlichkeit und im Freizeitbereich diskriminiert: etwa auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder in Sportvereinen. Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen gaben häufiger als andere Diskriminierungserfahrungen im Gesundheits- und Pflegebereich an.
Betroffene nehmen Diskriminierung mehrheitlich nicht hin
Etwa sechs von zehn Betroffenen (59,6 Prozent) geben an, in Folge einer Diskriminierung etwas unternommen zu haben. Unter anderem haben die Betroffenen versucht, öffentlich auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen (27,4 Prozent) oder Beratung eingeholt (13,6 Prozent). Bei einer offiziellen Stelle haben sich 17,1 Prozent beschwert, 6,2 Prozent haben Klage eingereicht.
Diskriminierungen haben Auswirkungen für die Betroffenen
Bisher ist nur wenig darüber bekannt, welche Auswirkungen Diskriminierungserfahrungen haben. Wie die Betroffenenbefragung zeigt, führen viele Benachteiligungserlebnisse zu seelischen Belastungen und Misstrauen, aber auch zu mehr Aufmerksamkeit gegenüber Diskriminierungen insgesamt.
Die erhobenen Daten sind aufgrund des enormen Datenvolumens noch nicht vollständig ausgewertet. Ausführlicher gehen sie in den Bericht an den Deutschen Bundestag ein, den die Antidiskriminierungsstelle 2017 gemeinsam mit den Beauftragten der Bundesregierung vorlegen wird. In dem Bericht werden auch Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis formuliert.