Berlin (ots)
Von Jörg Quoos, Chefredakteur der Zentralredaktion
Der „Tag der Arbeit“ zwischen alter Rhetorik und Randale
Viel Zeit hatte Berlins neue schwarz-rote Regierung nicht bis zum großen Ritual, das vor allem die alte und neue Innensenatorin fordern wird: Der 1. Mai wird begangen, in der Hauptstadt seit Jahrzehnten ein fester Termin im Jahreskalender der linksradikalen Szene, um die Stadt aufzumischen und die Polizei herauszufordern.Neben dem sogenannten „Revolutionären 1. Mai“, die Traditionsveranstaltung der gewaltbereiten Linken, gibt es jetzt auch eine Aktion von „RWE“ im Grunewald, wo man „Kohle abbauen“ will. RWE steht allerdings für „Reichtum Wird Enteignet“, und die „Kohle“ soll der Besitz der Bewohner sein. Auch von der Veranstaltung mit dem Namen „Silvester 2.0“ ist nichts Gutes zu erwarten. In linken Kreisen findet man so etwas lustig, aber die Innenbehörde war gut beraten, die Zahl der Einsatzkräfte auf über 6000 anzuheben. Auch dieses Jahr müssen viele Polizistinnen und Polizisten aus Berlin, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ihre spärliche Freizeit drangeben, damit in Berlin nichts aus dem Ruder läuft. Für sie ist der 1. Mai Stress pur, und jeder ist froh, wenn er heil nach Hause kommt.Ob es intelligent ist, den revolutionären Demonstrationszug an der neuen Polizeiwache am Kottbusser Tor vorbeiziehen zu lassen, wird man am Abend des 1. Mai sehen. Für den neuen Senat ist es jedenfalls die erste Bewährungsprobe, und Kai Wegner muss sich darauf gefasst machen, dass die Übernahme einer schwarz-roten Regierung den schwarzen Block der Autonomen zusätzlich motivieren wird. Es ist in einschlägigen Netzwerken schon angekündigt, dass man mit dem 1. Mai „zu ihrem schnellen Ende“ beitragen will. Der Respekt vor demokratischen Entscheidungen ist beim Veranstalter der sogenannten „Revolutionären 1. Mai-Demo“ leider nicht gewachsen.Es ist ärgerlich, dass der ritualisierte Krawall in Berlin auch dieses Mal die wichtigen Themen überlagern wird, die gerade zum „Tag der Arbeit“ am 1. Mai eigentlich auf der Agenda stehen und öffentlich diskutiert werden müssen. Dabei geht es nicht nicht nur um die Frage der sozialen Gerechtigkeit, die Kindergrundsicherung oder wie das Arbeitsleben in der Nach-Corona-Zeit gestaltet wird. Die Gesellschaft steht 2023 vor völlig neuen Herausforderungen.Die Künstliche Intelligenz ist mit atemberaubender Geschwindigkeit weiterentwickelt worden und überrollt wie ein Tsunami alle Branchen und Lebensbereiche. Sie bringt gewaltige Chancen, aber auch Risiken mit sich und muss von allen gesellschaftsrelevanten Kräften begleitet werden. Gerade auf Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Die KI ist die Dampfmaschine dieses Jahrtausends, und sie darf kein neues Prekariat schaffen. Sie muss dem Menschen dienen, dafür müssen auch Gewerkschaften sorgen. Wer den diesjährigen Mai-Aufruf des DGB unter dem Motto „Ungebrochen solidarisch“ liest, findet viel bekannte Gewerkschaftsprosa. Zur Herausforderung durch die Künstliche Intelligenz gibt es kein einziges Wort. Das Thema braucht aber dringend breite Aufmerksamkeit und darf nicht in Arbeitsgruppen und Konzeptpapieren verschwinden.Den professionellen Mai-Krawallos ist die Künstliche Intelligenz wohl eher egal. Ihnen wünscht man eine Portion natürliche Intelligenz – damit Berlin diesen 1. Mai vielleicht ohne hässliche Schlagzeilen übersteht.
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