Brüssel (ots)
Das hat gerade noch gefehlt: Die Debatte um Fahrverbote in den Innenstädten, um Umweltzonen und Tempolimits könnte bald wieder von vorn losgehen. Diesmal in verschärfter Form. Wenn die EU demnächst ein neues Gesetz zur Luftreinhaltung beschließt, könnten nicht nur Autofahrer mit älteren Fahrzeugen ein Problem bekommen. Verschärfte Grenzwerte für Feinstaub oder Stickoxid stellen die Städte vor massive Herausforderungen, weil die EU zugleich ein neues Klagerecht einführen will – großflächige Fahrverbote zur Abwehr von Schadenersatzansprüchen wären dann wohl zwingend, Elektroautos eingeschlossen, weil auch sie Feinstaub emittieren. Vielerorts stünden Industriebetriebe vor neuen Problemen.
Das ist keine gute Perspektive: Was die EU-Kommission da als Vorlage ausgebrütet hat, schießt deutlich über das Ziel hinaus. Dabei muss klar sein: Schlechte Luft vor allem in den Großstädten ist in Teilen Europas noch immer ein Gesundheitsrisiko. Feinstaub in höherer Konzentration ist gefährlich. Aber in den vergangenen Jahren haben Deutschland und die anderen EU-Staaten sehr erfolgreiche Anstrengungen unternommen, um solche Schadstoffe drastisch zu verringern – die geltenden Grenzwerte werden hierzulande fast überall eingehalten.
Nichts spricht dagegen, den Kurs fortzusetzen und neue Vorgaben für gesündere Luftqualität zu machen. Aber: Wenn Umweltpolitik erfolgreich und akzeptiert sein soll, muss sie realistische Ziele setzen. Das lassen die EU-Pläne vermissen.
Die Kommission stützt sich auf höchst umstrittene neue Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die nach deren eigener Berechnung für 99 Prozent der Weltbevölkerung nicht eingehalten werden. Mehr noch: Sie lassen sich in Teilen der Erde wohl niemals erreichen, weil dort schon die natürliche Feinstaubbelastung höher ist als der Richtwert. Ganz so radikal wie die WHO ist der Vorschlag der Kommission nicht, aber das erledigt nun das Parlament, das in den laufenden Verhandlungen unerfüllbare Forderungen drauflegt.
Der Ansatz dazu stammt aus der Zeit vor Corona, Ukraine-Krieg und Energiekrise, als der Spielraum für neue Auflagen und Verbote deutlich größer war. Jetzt ist die Initiative in dieser Eile verfehlt. Die Erneuerung etwa der Fahrzeugflotte, um neue Standards einzuhalten, braucht ebenso mehr Zeit wie die Nachrüstung von Fabriken. Statt das einzuplanen, will die Kommission die öffentliche Hand mit einer drohenden Klagewelle unter Druck setzen. Leider ist das in Brüssel kein Einzelfall. Die geplanten Gebäudesanierungsvorschriften, deren Umsetzung allein in Deutschland jährlich Hunderte Milliarden Euro kosten würde, oder Pläne zum Pflanzenschutz, die die Existenz vieler Winzer und Landwirte gefährden, sind nur weitere aktuelle Beispiele realitätsferner EU-Politik.
Handwerkliche Fehler und schlampig formulierte Gesetzestexte häufen sich: Sie treffen Senioren, die eine vermeintliche Fahrtauglichkeitstestpflicht empört, oder Bierbrauer und ihre Kunden, die vorübergehend das Aus für Milliarden Pfandflaschen fürchten mussten. Abbau von Bürokratie? Fehlanzeige.
Stattdessen eine Politik, die auf immer mehr gängelnde Vorschriften setzt. Sieben Monate vor der Europawahl ist das eine beunruhigende Bilanz: Ursula von der Leyens Kommission bestätigt auf verheerende Weise das Bild einer überregulierenden EU, die den Ernst der Lage ebenso ignoriert wie die Grenzen der Belastungsfähigkeit für Bürger und Unternehmen.
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