Berlin (ots)
Die Stadt ohne Kinder: Was wie ein Romantitel klingt, ist in London längst Realität. Zu teuer ist es für Familien geworden, in der Metropole zu leben. Zu unfreundlich ist die Stadt, zu wenig auf Kinder ausgerichtet. Die Folge: Wer Kinder hat, zieht weg. Und wer bleibt, verzichtet auf Kinder.
Dieser Trend zeigt sich längst nicht nur in London, wo er sich gerade dramatisch zuspitzt. Auch in Hamburg, in Berlin, in München gehen die Geburtenraten deutlich zurück, ziehen junge Familien raus aus der Stadt. Die Argumentation ist ähnlich: Die Familienwohnung in der Stadt ist schlicht zu teuer. Natürlich, die hohen Mieten. Doch immer öfter ist ein anderes Argument zu hören: Die Welt ist schon überbevölkert. Die Folgen des Klimawandels sind nicht absehbar. Eine Zukunft ist voller Kriege, Krisen, Naturkatastrophen. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. In diese Welt, erklären gerade in Großstädten junge Frauen und Männer, wollen sie lieber kein Kind setzen.
Die Argumentation ist nicht neu. Selbstverständlich ist die Angst junger Eltern um die Zukunft ihrer Kinder kaum auszuhalten. So erinnert sich eine Mutter: Als ihre Zwillinge gerade in der Phase des Erstspracherwerbs waren, erschütterte der 11. September 2001 die Welt. „Wenn Flugzeuge in Hochhäuser fliegen“ war ein Satzanfang, den die junge Mutter aus dem Mund der 18 Monate alten Tochter hörte. Statt stolz auf komplexe Syntax zu sein, auf die bemerkenswerte Wortkonstruktion, erfüllte sie dieser Anfang einer Kindergeschichte mit Schrecken. „In welcher Welt müssen diese Kinder groß werden?“ Und: „Ist es überhaupt richtig, in Zeiten, in denen Islamisten die ganze Welt terrorisieren, Kinder zu bekommen?“
Davor ängstigte Eltern das Waldsterben. Und der Kalte Krieg. Die Angst vor dem Atomtod. Tatsächlich haben sich viele – auch wissenschaftlich fundierte – Prophezeiungen nicht bewahrheitet.
Dafür werden sie von neuen Prophezeiungen abgelöst: Der Wald leidet jetzt unter Wassermangel und dem Borkenkäfer. Der Kalte Krieg wurde mit dem Fall der Mauer beendet, auch wenn die Gefahr eines neuen Krieges, der weit über die Ukraine hinausgeht, nicht wegzudiskutieren ist. Und die Folgen des menschengemachten Klimawandels sind mehr als ungewiss. Ob und wie die Erde sie verkraftet, hängt davon ab, dass global der CO2-Ausstoß eingedämmt wird. Mit aller Kraft – und allen technischen Möglichkeiten.
Zugegeben: Angesichts der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den Industrienationen ist Optimismus schwierig. Doch wie die Lebensumstände in 20, 40, 60 Jahren sind – wer maßt sich an, darauf eine klare Antwort zu geben? Ob unsere Kinder und Enkel glücklich in Wohlstand aufwachsen oder von Armut, Pandemien und Kriegen gebeutelt sind, lässt sich tatsächlich nicht vorhersagen.
Dass ein Leben mit Kindern, gerade in Großstädten, schwierig ist, lässt sich nicht schönreden. Der familiäre Rückhalt fehlt oft, der finanzielle auch, der Druck im Job ist groß, gute Kitaplätze rar. Müttern fehlt die Hilfe ihres Partners, Chefs machen es jungen Vätern immer noch schwer, länger als zwei Monate in Elternzeit zu gehen. Kurz: Es ist unbequem und anstrengend, eine Familie zusammenzuhalten. Ein Risiko, gefährlich wie das Leben an sich.
Doch wer sich das Abenteuer Kinder zumutet, wird meist reich belohnt. Dabei ist natürlich klar: Je besser die Bedingungen für Kinder, für Familien sind, desto eher trauen sich Frauen und Männer zu, Kinder zu bekommen. Denn ohne Kinder ist jedenfalls eine Stadt, eine Gesellschaft, ohne Zukunft. Wer will darin schon leben.
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