Berlin (ots)
Fast keine Tests mehr, keine Überprüfung von Impfnachweisen, nicht einmal mehr Masken im Nahverkehr. Schleichend ist der Corona-Alltag verblasst, Stück für Stück. Alles vorbei also? Nicht ganz. Die Spuren der vergangenen drei Jahre gehen tief – und offenbar nirgends tiefer als bei Kindern und Jugendlichen, wie sich jetzt im Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe nachlesen lässt.
Depressionen, Angststörungen, verzögerte soziale Entwicklung, mehr Streit, mehr Lernschwierigkeiten, mehr Stress an fast allen Fronten: Drei von vier Kindern und Jugendlichen leiden unter den Folgen der Corona-Politik der letzten Jahre. Und die Betroffenheit verteilt sich entlang der sozialen Schieflage – je schlechter die Startchancen schon vor der Pandemie, desto größer die Nachteile jetzt.
Eine ganze Generation aus der Bahn geworfen, während fast alle anderen zur Tagesordnung übergehen – was ist da passiert? Ein Teil der Erklärung liegt in den chaotischen ersten Tagen der Pandemie, als so viel Verunsicherung herrschte über das Ausmaß der Bedrohung, dass selbst Spielplätze mit Absperrband überzogen wurden, nur um sicher zu sein.
Aber für einen weit größeren Teil dessen, was Spuren hinterlassen hat, kann man diese Erklärung nicht gelten lassen. Die fehlenden Luftfilter in Schulen und Kitas, der schleppend angelaufene Digitalunterricht, die Rede von Kindern als „Virenschleudern“, all das kam deutlich später. Und weist auf ein Problem hin, das Corona nicht geschaffen, sondern nur sichtbar gemacht hat: Die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen finden systematisch zu wenig Beachtung.
Junge Menschen sind hierzulande strukturell im Nachteil, schon allein demografisch. Menschen unter 20 machen gerade einmal ein Fünftel der Bevölkerung aus, unter den Wahlberechtigten sind es gerade einmal drei Prozent, elf, wenn man die Gruppe derer bis 29 dazu nimmt.
An der Wahlurne also werden sie ohne Verbündete immer den Kürzeren ziehen gegen die (gut organisierten) Interessen älterer Generationen. Und auch darüber hinaus haben sie es schwerer, sich Gehör zu verschaffen: Jede mittelgroße Industriebranche weiß einen schlagkräftigen Interessenverband hinter sich, der sie in Berlin vertritt. Kinder und Jugendliche haben an ihrer Seite dagegen nur gemeinnützige Vereine wie den Kinderschutzbund und ein paar Standesorganisationen wie die der Kinder- und Jugendärzte.
Entsprechend liegt vieles im Argen, was für sie essenziell ist: Die Krise des Bildungssystems, von der Kita bis zum Abitur, wird vielstimmig und von allen politischen Seiten betrauert, allein – von einem 200-Milliarden-Doppelwumms für Schulen ist bislang nichts zu sehen. Die Klimakrise, mit deren Auswirkungen die Jüngsten am längsten leben müssen? Schon irgendwie wichtig, Verfassungsrang, ja sicher, wer deswegen vorschlägt, weniger Autobahnen zu bauen, macht sich der Radikalität verdächtig.
Und junge Paare, die ein Kind erwarten, müssen sich nicht nur auf einen Namen einigen, sondern in den meisten Fällen auch gleich darauf, wer langfristig den Job hinten anstellt, weil die Betreuungsoptionen nicht reichen. Als wäre Kinder zu bekommen eine Art teures Hobby, ein Privatvergnügen, und nicht sehr grundlegend im Interesse aller. Diese Formen der Benachteiligung lassen sich nicht von heute auf morgen korrigieren. Ein starkes Signal für Kinder und Jugendliche aber ließe sich vergleichsweise einfach setzen: Kinderrechte ins Grundgesetz, sobald wie möglich. Es gibt keinen Grund, zu warten.
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