Berlin (ots)
Der Krieg in Israel stürzt vor allem die Deutschen in ein moralisches Dilemma. Die furchtbaren Angriffe der Hamas auf unschuldige Menschen in Israel lösen Entsetzen, Wut und eine Welle des Mitgefühls aus. Aber dürfen die Nachkommen eines Landes, in dem die Nazis sechs Millionen Juden getötet haben, auch Empathie mit Zivilisten im Gazastreifen zeigen? Mit Menschen, die im Zuge der massiven Bombardierung Israels ihr Zuhause verloren haben, wo Wasser, Lebensmittel, Medikamente infolge der totalen Abriegelung knapp werden? Wo eine unermessliche humanitäre Katastrophe droht?
Der Konflikt in Israel sorgt bei vielen Menschen für widerstreitende Empfindungen. Einerseits: Die Angriffe der islamistischen Hamas auf Israel sind nicht einfach Terrorattacken. Sie sind Ausdruck bestialischer Grausamkeit und einer blindwütigen Mordlust, die alle Vorstellungen sprengt. Das wahllose Abknallen von Menschen, die Schändung von Leichen und die Berichte über geköpfte Babys sind so brutal, dass kein politisches Ziel – auch nicht die Schaffung eines unabhängigen Staats der Palästinenser – diese Taten rechtfertigen kann.
Der Blutrausch der Killer aus dem Gazastreifen hat die Bevölkerung in Israel zutiefst verwundet. Das Land, das sich aufgrund seiner militärischen Stärke, seiner Disziplin und seines Überlebenswillens für unbesiegbar hielt, ist traumatisiert. Der Schock ist so groß, dass Vergleiche mit dem Holocaust gezogen werden. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Israel die Hamas-Kämpfer töten und die Infrastruktur der Islamisten zerstören will. Das Land steht geeint hinter diesem Ziel. Die tiefe Spaltung über die von Ministerpräsident Netanjahu durchgeboxte Justizreform tritt angesichts der Bedrohung in den Hintergrund. Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung. Vergessen wir nicht: Die Hamas will den Judenstaat von der Landkarte ausradieren und ein Groß-Palästina errichten – genauso wie das schiitische Mullah-Regime im Iran.
Andererseits: Die bevorstehende Bodenoffensive Israels ist eine äußerst heikle Operation. Die Hamas verfolgt eine zynische Strategie. Sie will, dass Gaza für Israel zur Falle wird. Die Terroristen benutzen sowohl die eigene Bevölkerung als auch die verschleppten Geiseln als menschliche Schutzschilde. Kommt es zu zivilen Opfern, soll Israel als Aggressor abgestempelt werden. Die Kappung des Stroms durch Israel, die dafür sorgt, dass in Hospitälern in Gaza nicht mehr operiert werden kann, spielt der Hamas dabei in die Hände.
Unabhängig vom Krieg der Bilder in den sozialen Medien, der bereits heute absehbar ist: Das Militär sollte sich bemühen, die Zahl der getöteten Zivilisten so gering wie möglich zu halten. Wird der Blutzoll extrem hoch und der Gazastreifen weitgehend kaputtgebombt, riskiert Israel, dass eine ganze Generation neuer Terroristen entsteht.
Heißt das, dass man in Deutschland Israel öffentlich moralische Ratschläge erteilen sollte? Nein, das steht uns nicht zu. Das angegriffene Land hat unsere „unverbrüchliche“ Solidarität verdient, wie Bundeskanzler Scholz zu Recht betont. Der spontane Israel-Besuch von Außenministerin Baerbock am Freitag ist ebenso richtig wie die militärische Hilfe der Bundeswehr in der Stunde der Not. Ein befreundetes Land wie Deutschland darf hinter den Kulissen mahnen, beim Gegenschlag die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Die historische Verantwortung Deutschlands für Israel steht jedoch an erster Stelle – und das sollte so bleiben für alle Zeit.
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