Berlin (ots)
Es klingt wie eine komplizierte politische Beziehungskomödie, ist aber bitterer Ernst: Ende September empfiehlt CDU-Chef Friedrich Merz dem Kanzler, die Grünen aus der Koalition zu werfen, um in der Asylpolitik voranzukommen. Vier Wochen später greift Markus Söder die Idee auf und schlägt Olaf Scholz eine große Koalition mit der Union als Juniorpartner vor. Zwei Tage darauf legt er nach: Das Ehrlichste seien jetzt Neuwahlen, findet der CSU-Mann. Merz seinerseits trifft in dieser Zeit den Kanzler zum Abendessen – und erzählt nachher, dass es „ganz gut“ gewesen sei, ansonsten gehe es aber nicht voran im Ringen um eine gemeinsame Linie bei der Migration. Öffentliche Briefe gehen zwischen Kanzleramt und Adenauer-Haus hin und her – doch der von vielen herbeigesehnte „Deutschlandpakt“ bleibt eine Fata Morgana. Je näher man kommt, desto vager wird es.
Und Scholz? Der Kanzler lässt nicht erkennen, ob er tief in der Nacht davon träumt, Robert Habeck gegen Friedrich Merz austauschen. Was ihn definitiv nicht schlafen lassen würde, wäre die Aussicht auf Neuwahlen. Zum jetzigen Zeitpunkt wäre es ein Desaster für die SPD und ein Triumph für die AfD.
Das Bittere ist: Das Land hat keine Zeit für ein solches Polittheater. Die Zeit läuft davon. Der Druck ist in den vergangenen Tagen noch einmal deutlich gestiegen. Die Bilder von gewalttätigen Hamas-Anhängern auf den Straßen sind Munition für alle Rechtspopulisten, die jetzt eine einfache Rechnung aufmachen: Unkontrollierte Migration führt erst zu unkontrollierbaren Integrationsproblemen und auf Dauer zu einem Kontrollverlust des Staates.
Was am Ende dieser Rechnung steht, ist auch sonnenklar: noch mehr Zulauf für die AfD, die mit ihrer Deutschland-den-Deutschen-Haltung maximale Kontrolle verspricht – egal wie unrealistisch und allein schon volkswirtschaftlich falsch das ist.
Klar ist deswegen auch: Sollten sich Bund und Länder nicht auf einen gemeinsamen Kurs in der Migrationspolitik einigen, sollte das Schwarze-Peter-Spiel zwischen Kanzleramt und Adenauer-Haus über die kommenden Monate andauern – dann wird das Vertrauen der Deutschen in die Handlungsfähigkeit des Staates noch weiter sinken. Das Gesetzespaket, das die Ampel in dieser Woche auf den Weg gebracht hat, kann deswegen allenfalls ein Anfang sein. Die Regeln für Abschiebungen sollen verschärft und die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern erleichtert werden. Das eigentliche Problem aber löst es nicht: Abschiebungen können so effektiv organisiert werden wie möglich, viele scheitern daran, dass die Herkunftsländer nicht kooperieren oder dass schlicht Ausweispapiere fehlen.
Wer Druck aus dem Kessel nehmen will, wer die Kommunen entlasten will, muss mehr tun. Und vor allem: Er muss mutig sein und Dinge ausprobieren. Stationäre Kontrollen an der Grenze zu Polen? Das kann ein Baustein sein. Bezahlkarten statt hohe Bargeldzahlungen an Asylbewerber? Ausprobieren! Zwar wird niemand, der sich unter Lebensgefahr auf den Weg nach Europa macht, dadurch davon abhalten lassen. Bei der Entscheidung aber, in welches europäische Land er sich durchschlägt, dürften solche Anreize eine Rolle spielen.
Bund und Länder müssen spätestens bei ihrem Gipfel am 6. November das Signal aussenden, das sie in den Anfangstagen der Pandemie sendeten: Der Staat tut etwas gegen den Kontrollverlust.
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