Frankfurt (ots)
In Zeiten wie diesen wird Anlegern in Bezug auf Marktbewertungen einiges abverlangt. Die wachsende Unsicherheit an den Börsen wegen des eskalierten Ukraine-Kriegs, eine galoppierende Inflation, die Energiekrise und zunehmende geopolitische Spannungen sorgen für erhöhte Volatilitäten an den Kapitalmärkten. In diesem angespannten Umfeld nehmen die Risiken für Anleger zu, während die Bewertungen in manchen Segmenten Kapriolen schlagen.
Beispiel Autoindustrie: Am Donnerstag wurde auf dem Kurszettel erstmals amtlich, was sich bereits in den Tagen zuvor abgezeichnet hat: Der Börsenneuling Porsche AG bringt eine Woche nach seinem IPO mit fast 83 Mrd. Euro mehr auf die Waage als der Mutterkonzern Volkswagen AG mit knapp 79 Mrd. Euro.
Auf den ersten Blick ist das ein Irrsinn. Die Zahlen implizieren, dass Investoren dem Sportwagenbauer aus Stuttgart-Zuffenhausen am Markt rund 4 Mrd. Euro mehr zubilligen als den übrigen Marken des Wolfsburger Dax-Riesen zusammen – inklusive des verbliebenen Anteils an Porsche. Der zweitgrößte Autohersteller der Welt nach Branchenprimus Toyota gerät gegenüber dem deutlich kleineren Anbieter im Luxussegment an der Börse ins Hintertreffen, obgleich die Niedersachsen die schwäbische Edelschmiede auch nach deren erfolgreichem Börsen-Comeback weiterhin vollständig konsolidieren.
Denn in Bezug auf die stimmberechtigten Stammaktien hält VW 75% an der Porsche AG, die von der österreichisch-deutschen Unternehmerfamilie Porsche-Piëch dominierte Beteiligungsholding Porsche SE verfügt künftig mit 25% und einer Aktie über eine Sperrminorität. Inklusive der stimmrechtslosen Vorzugspapiere werden nur 12,5% des gesamten Aktienkapitals der Porsche AG an der Börse gehandelt. Zugleich kontrolliert der Familienverbund mit seinen beiden Kernzweigen über 53% der Stimmrechte an der Volkswagen AG. Mit anderen Worten kann es den Protagonisten des Clans eigentlich egal sein, ob die Porsche AG der Muttergesellschaft an der Börse die Rücklichter zeigt oder nicht. Die Familie Porsche-Piëch ist und bleibt „Gewinner“ der Bewertungskapriolen.
Seit ihrer Erstnotiz am 29. September hat die Porsche-Vorzugsaktie 10% zugelegt, während die gleiche Aktiengattung von VW 5% eingebüßt hat. Mit der aktuellen Marktbewertung erreicht die Porsche AG eine Größenordnung, die Analysten dem legendären Unternehmen zugetraut hätten, wenn man den Ukraine-Krieg ausklammern würde. Doch in dem Ausgabepreis von 82,50 Euro je Titel sind die Risiken infolge des Angriffskriegs von Russland sogar mit eingeflossen. Ungeachtet der Folgen des militärischen Konflikts gilt offenbar: Die Marke Porsche zieht bei den Anlegern. Vor diesem Hintergrund war das größte IPO in Deutschland seit dem Börsengang der Telekom (1996) tatsächlich eine Ausnahme, kein Eisbrecher.
Auf den zweiten Blick hat die Bewertungskapriole auch fundamentale Gründe: In Zeiten multipler Krisen sind operativ erfolgreiche und hochprofitable Luxusautobauer krisenresistenter als Volumenhersteller wie VW, die stärker von Wirtschaftszyklen abhängig sind. Das trägt auch einen Zynismus in sich: Gerade in Zeiten wachsender wirtschaftlicher Nöte haben Luxuswagen Hochkonjunktur.
(Börsen-Zeitung, 07.10.2022)
Pressekontakt:
Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069–2732-0
www.boersen-zeitung.de
Original-Content von: Börsen-Zeitung, übermittelt durch news aktuell