Frankfurt (ots)
Der Kryptomarkt befindet sich nach den jüngsten Turbulenzen in Schockstarre – und ein Ende dieses Zustands ist vorerst nicht in Sicht. Doch während in der breiten Diskussion an den Finanzmärkten die Kursrücksetzer der führenden Digitalwährung Bitcoin im Fokus stehen, ist die Wertvernichtung im dezentralisierten Finanzwesen (DeFi) noch wesentlich besorgniserregender. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, klassische Finanzkonzepte mit Distributed-Ledger-Technologien zu verbinden und zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken abzulösen. Dabei helfen Smart Contracts, also Computerprotokolle, die Verträge abbilden sowie Transaktionen dezentral und automatisiert ausführen können. Seit Anfang Mai sind aus Smart Contracts mit DeFi-Bezug laut der Plattform DeFi Llama mehr als 90 Mrd. Dollar abgeflossen – am Freitag belief sich das Volumen des Kryptokapitals, das in solchen Protokollen lag, auf nunmehr 106 Mrd. Dollar.
Ein bedeutender Teil der Abflüsse dürfte darauf zurückzuführen sein, dass der Kollaps des Stablecoin TerraUSD (UST) das Vertrauen in dezentrale Anwendungen erheblich beschädigt hat. Der algorithmische Krypto-Token, der eigentlich Wertstabilität gewährleisten sollte und an den Dollar gekoppelt war, hatte zu Monatsbeginn vollständig die Bindung an den Greenback verloren und soll nun im Zuge eines Wiederaufbauplans für die zugehörige Blockchain effektiv begraben werden. Der UST-Crash traf auch Bitcoin hart, weil die Organisation hinter dem Stablecoin großvolumige Reserven in der führenden Cyberdevise hält und diese in dem Versuch, das eigene System zu stabilisieren, anzapfen musste.
Doch die zweitgrößte Digitalwährung Ether geriet noch deutlich heftiger unter Druck: Auf Monatsfrist hat sie zum Dollar nahezu 40 % an Wert eingebüßt, bei Bitcoin beträgt der Verlust 28 %. Trotz seiner beträchtlichen Rücksetzer ist der Marktprimus damit relativ zur Nummer zwei des Segments so teuer wie zuletzt im vergangenen Oktober, als die Einführung Futures-basierter Bitcoin-ETFs in den USA eine gewaltige Euphorie unter den Anlegern entfacht hatte. Auch in Bezug auf das gesamte Kryptosegment hat die älteste Cyberdevise zuletzt wieder an Dominanz gewonnen: Ihr Anteil an der gesamtem Marktkapitalisierung aller umlaufenden Krypto-Einheiten ist laut der Plattform Coinmarketcap auf 45 % gestiegen, nachdem er zu Jahresbeginn noch unter die Marke von 40 % gefallen war.
Diese Entwicklung hängt auch damit zusammen, dass Stablecoins wie UST integraler Bestandteil vieler DeFi-Anwendungen sind – und der Trend zum dezentralen Finanzwesen für Bitcoin eine wesentlich geringere Rolle spielt als für Ethereum oder andere Herausforderer wie Solana oder Cardano. Denn während Letztere häufig gleich mit DeFi-Fokus gestartet sind, ist die Bitcoin-Blockchain erst seit dem im vergangenen November aufgespielten Upgrade „Taproot“ fähig, komplexere Smart Contracts abzubilden. Dies zeigt auch das Volumen des jeweils gespeicherten Kryptokapitals: In dezentralen Protokollen auf Ethereum liegen noch immer 67,5 Mrd. Dollar, auf Bitcoin sind es lediglich 166 Mill. Dollar.
Für Ether bahnen sich nun zusätzliche Rückschläge an, weil sich im Zuge der lang erwarteten Umstellung des Ethereum-Netzwerks auf den Proof-of-Stake-Konsensmechanismus Unstimmigkeiten ergeben haben. Mit dieser soll der Betrieb der Blockchain gerade im Vergleich zum von Bitcoin genutzten, äußerst rechenintensiven Proof-of-Work-Mechanismus energieeffizienter werden. Infolge zuletzt offenbar gewordener Sicherheitslücken droht sich die Umstellung aber zu verzögern.
Bitcoin besitzt im aktuellen Umfeld also leichte Vorteile gegenüber den stärksten Herausforderern. Aufwärtspotenzial ergibt sich für den Marktprimus damit aber noch lange nicht, da dieser aufgrund seiner Rolle als Spekulationsobjekt besonders stark unter der allgemeinen Risikoscheu an den Finanzmärkten leidet – und diese wird durch die jüngsten Stablecoin-Turbulenzen eben noch einmal verstärkt.
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