Berlin (ots)
Usbekistan gibt sich eine neue Verfassung, die das Land als unabhängige, souveräne, demokratische, rechtsstaatliche und säkulare Republik stärkt. Am 30. April wird darüber in einem landesweiten Referendum entschieden.
Mehr als die Hälfte des Textes, der die Grundlinien des Staates und seines Verhältnisses zu den Bürgern beschreibt, wird neu gefasst. Der Verfassungsentwurf ist das Ergebnis eines langen und breit angelegten Dialogs von staatlichen Stellen und der Gesellschaft. Die Usbeken hatten über ein Online-Portal namens „Meine Verfassung“ sowie über ein spezielles Callcenter und einen Telegramm-Bot mehr als 220.000 Vorschläge eingereicht.
Der Staat Usbekistan setzt neue Prioritäten. War es früher der Staat, der alles bestimmte, so stehen mit der neuen Verfassung der Bürger und sein Wohlergehen an oberster Stelle. Der Staat dient dem Bürger. Und nicht mehr der Bürger einem Staat, der alles regelt. So war es früher. Jetzt soll jeder Bewohner des Landes sagen können: Das ist meine Verfassung.
Seit über 30 Jahres ist Usbekistan ein souveräner Staat, der aus der damaligen Sowjetunion hervorgegangen ist. Das Erbe dieser Zeit hielt sich lange, auch in der Verfassung der Nachfolgestaaten. Im Zentrum stand bisher der Gedanke, dass der Bürger dem Staat zu dienen habe. Doch die Zeiten haben sich geändert. Jetzt, mitten in der Transformation zu Demokratie und Marktwirtschaft, gibt der Staat Usbekistan seinen Bewohnern eine neue Stellung. Der Bewohner wird zum Staatsbürger.
Die neue Verfassung zeigt die Veränderungen, die sich auf fast alle Lebensbereiche auswirken. Herausragend verändert sich, dass dem Staat auch Grenzen auferlegt werden. Er darf nur im Rahmen der Verfassung in das Leben der Menschen eingreifen. Sie begrenzt den Staat in seinen Handlungsmöglichkeiten und betont die Beachtung der Menschenrechte, der persönlichen und der Freiheitsrechte. Erstmalig erhält der Bürger in der neuen Verfassung das Recht auf eine freie Entwicklung der Persönlichkeit. Begrenzt wird sie nur durch die in der Verfassung festgeschriebenen Rechte auf Wahrung der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und von öffentlicher Sicherheit. Auch Staatsbürger, die im Ausland leben, schützt die Verfassung.
Wird ein Bürger festgenommen, muss er über seine Rechte belehrt werden. Auch in diesem Punkt respektiert der Staat nunmehr die persönlichen Rechte der Bürger, bevor er als Akteur seine Macht ausüben darf. Wer ein Vergehen begangen hat, erhält das Recht auf Schweigen und jenes auf anwaltliche Begleitung – in jeder Phase einer Anklage.
Festnahmen und Gefängnisaufenthalte dürfen nur nach richterlichem Beschluss erfolgen. Liegt der vor, hat die festgenommene Person dennoch ein Anrecht auf private Korrespondenz, private Telefongespräche und weitere persönliche Kommunikation. Ohne richterliche Anordnung darf niemandem länger als 48 Stunden seine Freiheit genommen werden.
Auch hier zeigt sich ein wichtiger Punkt, der in der Vergangenheit anders geregelt war. Kritisch anmerken lässt sich, dass die Voraussetzung dafür eine unabhängige Justiz ist. Die zu installieren und zu pflegen ist eine der Aufgaben, die die neue Verfassung umfangreich regelt.
Zum ersten Mal gilt nun ein Beschuldigter so lange als unschuldig, bis ihm die Tat und damit eine Schuld nachgewiesen werden. Im Zweifel also für den Angeklagten – „in dubio pro reo“ oder auch „presumption of innocence“. Wer beschuldigt wird, muss über seine Rechte aufgeklärt und befragt werden, ob er die Anschuldigung und die rechtlichen Belehrungen versteht. Die Verfahrensweise ähnelt damit den Vorbildern in den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Die Todesstrafe ist abgeschafft.
Ein neues Kapitel ist der Schutz persönlicher Daten. Wie in anderen Ländern hat sich auch in Usbekistan ein neues Bewusstsein entwickelt. Das Internet mit seinen positiven, aber auch seinen Schattenseiten hat dazu geführt, dass die Verfassung den Bürger mit seinen Daten schützen soll. Dieses schwierige Kapitel ist hier wie auch in vielen anderen Staaten noch eines, das zwar installiert, aber in der Ausführung noch in Arbeit ist, so wie auch der technische Fortschritt stetig Neuerungen bringt, die einer rechtlichen Regelung bedürfen. Die Grundlagen dafür sind in der neuen Verfassung geschaffen.
Das Recht auf Freizügigkeit und Selbstbestimmung von Wohn- und Arbeitsort hat im Katalog der Neuerungen einen festen Platz. Das mag selbstverständlich erscheinen, doch von China oder Russland sind auch andere Modelle bekannt. Auch hier wird deutlich, dass der Staat jetzt weniger eingreift und dem Bürger den Vorrang einräumt.
Zwangsarbeit und Kinderarbeit sind verboten. Für beide war Usbekistan in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach kritisiert worden. Doch die Kampagne in der Baumwollindustrie zeigt, wie wirkungsvoll die entsprechenden Reformen waren. Die erfolgreichen Maßnahmen gelten als Vorbild für Länder, in denen Versuche zur Eindämmung von Kinderarbeit halbherzig geblieben sind.
Kinder schützt die neue Verfassung in besonderem Maße. Ihr Wohlergehen, ihre körperliche und seelische Entwicklung entsprechend den Werten von Gesellschaft und Staat werden hervorgehoben. Sie sollen stolz auf das Erbe ihres Landes und seine Traditionen sein.
Dazu gehört auch der Schutz von Natur und Umwelt. Während viele Staaten noch zögern, hat Usbekistan den Natur- und Umweltschutz bereits in seine Verfassung aufgenommen.
Jeder Bürger Usbekistans hat ein Recht auf kostenlose Bildung. Auch höhere Bildung soll kostenfrei, aber wettbewerbsorientiert sein. Höhere Bildungsinstitute wie Universitäten dürfen sich selbst verwalten und in akademischer Freiheit forschen und unterrichten. Auch die Finanzen regeln sie künftig selbst. Die lenkende Hand des Staates ist nicht mehr vorgesehen. Damit übernimmt Usbekistan internationale Standards, die den Forschenden und Lehrenden neue Möglichkeiten einräumt.
Die Rolle von Erziehern und Lehrern wird in der neuen Verfassung als fundamental wichtig für die Gesellschaft gewürdigt. Durch sie werde das spirituelle und kulturelle Potenzial eines Landes gefördert, heißt es. Dementsprechend werden diese Berufe geschätzt, was sich auch im Materiellen äußern soll. Die Wertschätzung geht sogar über das hinaus, was Deutschland und viele andere Länder in ihre Verfassung geschrieben haben.
Usbekistan nimmt damit seine alte Tradition auf als ein Land, das der Bildung einen sehr hohen Stellenwert einräumt. Im Mittelalter waren Taschkent und Samarkand die Städte mit den weltweit wichtigsten Gelehrten.
Wie wichtig die Bildung für die Entwicklung des Staates ist, zeigt sich in vielen Ländern. Die Wirtschaft kann prosperieren, wenn es genügend Investitionen, aber auch genügend Ideen und Gebildete gibt. Für die Wirtschaft setzt die Verfassung neue Impulse: Der Staat soll für eine gutes Wirtschaftsklima sorgen, damit sich der Warenaustausch entwickeln kann. Gleichzeitig soll es keine Monopole geben; für diese Fälle behält sich der Staat Maßnahmen vor.
Wichtig für den Warenaustausch im In- und Ausland ist es, dass die Außenpolitik dafür gute Voraussetzungen schafft. Die Grundzüge der neuen, ausgewogenen und auf gute Nachbarschaft ausgerichteten Außenpolitik zeigten sich schon nach der Amtsübernahme von Präsident Mirziyoyev 2017: Mit allen Nachbarstaaten stellte er gute Beziehungen her und beendete jahrelange Differenzen. Eine multivektorale Ausrichtung, Frieden und die Achtung der territorialen Integrität anderer Staaten gehören zu den Eckpfeilern der Außenpolitik.
Reformen im Rechtswesen starteten bereits 2017. Ein unabhängiger und autonomer Oberstes Gerichtshof wurde installiert, der die Grundzüge der Verfassung, die Unabhängigkeit der Richter und Gerichte und die Demokratisierung im Land begleitet und stärkt. Jeder der gewählten höchsten Richter übt sein Amt zehn Jahre aus. Eine Wiederwahl ist nicht zugelassen.
Die Neuerungen in der Justiz sind sehr umfangreich. Sie zielen auf eine unabhängige Justiz ab, die auf der neuen Verfassung beruht und die Grundlagen für einen modernen demokratischen Staat legt.
Neue Normen, eine staatliche Garantie für Pressefreiheit und Meinungsfreiheit, Offenheit und Transparenz bei allen staatlichen Entwicklungen und Entscheidungen sollen den Dialog zwischen Gesellschaft und Staat auf ein neues Niveau heben.
Die neue Verfassung stärkt die seit 2017 andauernden Reformen und legt das Fundament für das neue Usbekistan. Im Zentrum steht der Staatsbürger, der auf einer stabilen Rechtsgrundlage mehr an den Entwicklungen im Staat mitwirken kann. Dafür bietet ihm die Verfassung neue Möglichkeiten für Initiativen und direkten Einfluss auf wichtige Entscheidungen. Der Verfassungsentwurf, über den die Bürger Usbekistans in einem landesweiten Referendum am 30. April abstimmen, gilt als großer Meilenstein.
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