Die niedersächsische Landesregierung hat heute ihre Strategie zur Künstlichen Intelligenz (KI) vorgestellt. Damit formuliert die Landesregierung klare Ziele, Maßnahmen, Budgets und Umsetzungszeiträume für den Bereich der KI in Niedersachsen. Das Gesamtvolumen aller Maßnahmen, die zum Teil über den Bereich der KI hinausgehen, beträgt gemeinsam mit den Kofinanzierungen aus Bund und EU rund 350 Millionen Euro.
Wirtschafts- und Digitalisierungsminister Dr. Bernd Althusmann: „Die Potenziale und Anwendungsmöglichkeiten von KI sind immens. Für uns als Landesregierung und mich persönlich ist aber entscheidend, auch die politischen Rahmenbedingungen im Hinblick auf Datenschutz und Ethik aktiv zu gestalten, ohne dabei die Entwicklung von Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft auszubremsen. Wir haben daher eine Strategie zur Künstlichen Intelligenz entwickelt, die die richtigen Weichenstellungen für Niedersachsen sichert und den Menschen ins Zentrum aller Überlegungen stellt.“
Der menschenzentrierte Ansatz der Strategie ist von entscheidender Bedeutung, um Akzeptanz und Vertrauen für den Einsatz der Technologie zu schaffen. Wenn KI in Niedersachsen, Deutschland und Europa erfolgreich breite Anwendung finden soll, um die unstrittig vorhandenen Vorteile zu nutzen, müssen Entscheidungen einer KI nachvollziehbar sein. Nur dann können Menschen sie verstehen, ihnen angemessen vertrauen und mit ihnen effektiv umgehen.
In der KI-Strategie des Landes werden in insgesamt 18 Themenbereichen von Startups, Mittelstand und Wirtschaft über Schule und Hochschule, Landwirtschaft, Klima und Umwelt, Gesundheit und Pflege bis zu Verwaltung und Justiz präzise die Ausgangslage und Herausforderungen in Niedersachsen analysiert. Darauf aufbauend werden Ziele abgeleitet sowie konkrete Maßnahmen vorgestellt, um diese Ziele zu erreichen.
Beispielhaft sind folgende Maßnahmen:
Daten, Datenverarbeitung, Datenschutz
- Niedersachsen wirkt am europäischen Projekt GAIA-X[1] mit, das darauf abzielt, gemeinsame Anforderungen an eine europäische Dateninfrastruktur zu entwickeln
- Niedersachsen bringt sich aktiv in den Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union zu KI ein und beteiligt sich aktiv an den entsprechenden Konsultationsverfahren. Hier geht es darum, eine europäische Antwort auf Fragen der sicheren Datenspeicherung und -verarbeitung zu geben.
KI in der Wirtschaft
- Ab Sommer 2022 werden Betriebe mit dem Neustart des Förderprogramms Digitalbonus Niedersachsen auch bei der Umsetzung von KI-Infrastruktur und
- Anwendungen gefördert. Das Gesamtvolumen liegt bei 15 Millionen Euro.
- Die Landesregierung fördert die Entstehung lokaler Wissensbasen, um den Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Wirtschaft zu entwickeln. So soll in Osnabrück noch in diesem Jahr mit fünf Millionen Euro Landesmitteln der Startschuss für ein gefördertes Innovationscluster mit Schwerpunkt KI in der Agrarbranche gegeben werden. Die Aufgabe der Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft übernimmt in Niedersachsen insbesondere das Zentrum für digitale Innovationen Niedersachsen (ZDIN) mit seinen bislang sechs Zukunftslaboren. Das Land hat den Aufbau des ZDIN mit 25 Millionen Euro (bis 2024) unterstützt.
- Mit dem „regionalen Zukunftszentrum Nord“ und der gezielten Förderung von beruflicher Weiterbildung in der Transformation reagiert die Landesregierung auf die sich durch KI wandelnden Berufsbilder und den daraus resultierenden Bedarf an betrieblichen bzw. akademischen Weiterbildungen.
KI in Bildung und Gesellschaft
- Im Rahmen des DigitalPakts Schule beteiligt sich Niedersachsen an einem länderübergreifenden Projekt zur Entwicklung einer eigenen „Adaptive Learning Cloud“ (ALC). Dabei soll eine Lernanwendung entwickelt und erprobt werden, mit der Lehrende das Lernen ihrer Schülerinnen und Schüler zielgerichteter und individualisierter gestalten können. Hierzu soll gemeinsam mit sieben weiteren Bundesländern eine Plattform für die Erstellung und Bereitstellung adaptiver Lernanwendungen und Lerninhalte für Anbieterinnen und Anbieter (von der Lehrkraft über Landesinstitute bis hin zu Verlagen) installiert und betrieben werden. Die ALC soll sich an die Leistungen und den Lernstand der Lernenden anpassen und individuelles Feedback mit entsprechender Förderung ermöglichen.
- Ab dem Schuljahr 2023/24 wird Informatik schrittweise als Pflichtfach für Schülerinnen und Schüler im Sekundarbereich I (in den Jahrgängen 9 und 10) etabliert werden. So werden wichtige Grundlagen für das Verständnis von KI bereits in der Schulzeit gelegt. Im Vorgriff können 200 Lerngruppen bereits in diesem Sommer (2022) auf Antrag mit dem neuen Pflichtfach Informatik starten. Das Land stellt dafür das erforderliche Stundenkontingent zur Verfügung.
- KI ist eine Querschnittsaufgabe – auch in der Lehrkräfteausbildung. Die Grundlagen für das Verständnis von Künstlicher Intelligenz sollen als Teil der Allgemeinbildung in allen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen des Landes Niedersachsen vermittelt werden. Hierfür sollen mehr Interessenten für das Lehramt in MINT-Fächern, insbesondere für das Lehramt Informatik, gewonnen werden. In der Schule sollen die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von KI zur Unterstützung des Lernens ausgelotet werden – unter anderem über individualisierte adaptive Lernanwendungen.
- Mittelfristig sollen an den Hochschulen nicht nur neue informationswissenschaftliche Studiengänge mit Bezügen zur KI eingerichtet, sondern auch bestehende Studiengänge in geeigneter Form um Inhalte zur KI erweitert werden. Wesentliche Impulse hierfür wurden bereits durch die Einrichtung von 50 Digitalisierungsprofessuren an den niedersächsischen Hochschulen gesetzt.
- Mit dem Projekt „Digital Campus Niedersachsen“ soll darüber hinaus allen Niedersachsen über eine Plattform in einfachen Lernmodulen ein niedrigschwelliges Lernangebot gemacht werden, um die für das Leben mit KI notwendige Grundkompetenz aufzubauen. Dafür stehen insgesamt fünf Millionen Euro zur Verfügung.
- Mit der Stärkung der grundlegenden Spitzenforschung – beispielsweise im OFFIS in Oldenburg, im DFKI in Osnabrück und Oldenburg und im L3S in Hannover – soll zugleich der Transfer in die Praxis intensiviert werden. So forscht etwa das Forschungszentrum L3S an der Leibniz Universität Hannover an personalisierter Medizin. KI öffnet bei einer großen Zahl von Krankheitsbildern Forschungs- und Anwendungspotenziale, um Prävention, Diagnostik und Therapie zu verbessern. Die Analyse großer Datensätze (Big Data) kann einen wichtigen Beitrag zu einer personalisierten, auf den Einzelnen ausgerichteten Medizin leisten und möglicherweise sogar Kosten senken. Seit diesem Jahr unterstützt das Land das L3S mit einer institutionellen Förderung mit 1,96 Millionen Euro jährlich. Zudem wird eine stärkere Verzahnung der KI-Forschung des L3S mit den Lebenswissenschaften der MHH angestrebt.
KI in Polizei, Justiz und Verwaltung
- Beim LKA wurde eine Software zur Bekämpfung der Kinderpornografie mittels Künstlicher Intelligenz (KI) entwickelt. In den letzten Jahren sind die Datenmengen, die durch die Polizei im Rahmen von Ermittlungen beschlagnahmt und ausgewertet werden müssen, auf ein kaum mehr handhabbares Niveau angestiegen. Kinder- und jugendpornografische Dateien werden zunehmend über das Internet, mittels mobiler Endgeräte oder über Messengerdienste und Tauschbörsen verbreitet. Die Polizei in Niedersachsen setzt KI-unterstützte Software ein, die durch IT-Experten des LKA Niedersachsen entwickelt und kontinuierlich weiter trainiert wird, um relevante von unrelevanten Daten zu trennen. So wird wertvolle Zeit gewonnen, die es ermöglicht, schnell weitere Täter zu identifizieren und noch andauernden schweren sexuellen Missbrauch von Kindern schneller zu beenden.
- In der Justiz werden KI-basierte Textanalyse- und Strukturierungswerkzeuge erprobt, die es den Bearbeiterinnen und Bearbeitern erleichtern, die Inhalte von Vorgängen schneller zu erfassen und mit externen Informationen sowie den vorliegenden Beweismitteln zu verknüpfen. Die Aufbereitung und Abschlussentscheidung wird damit zielgerichtet unterstützt und beschleunigt.
- Perspektivisch sollen in der Justiz Werkzeuge erprobt werden, die in Massenverfahren Entwürfe von Abschlussentscheidungen erstellen können, so dass der entscheidende Mensch von Routinearbeiten entlastet wird.
- Im Bereich der Steuerverwaltung entwickelt Niedersachsen im Rahmen der Forschungskooperation TaDeA (Tax Defense Analytics) mit der Universität Oldenburg und des Landesamtes für Steuern eine KI-gestützte Daten- und Analyse-Plattform, die dazu dient, Prozesse sicherer und effektiver zu überwachen und zu steuern.
- In der Katasterverwaltung wird in Zusammenarbeit mit IBM eine Bilderkennungssoftware (Watson Machine Learning) genutzt, die unter Nutzung von Künstlicher Intelligenz zur Verbesserung der Karten beitragen soll. Die wesentlichen Anwendungsfelder sind die Identifizierung von fehlenden Gebäuden in den Katasterkarten, von abweichenden Gebäudeumrissen, verschobenen bzw. nicht exakt eingetragenen Gebäuden und Ermittlung von Gebäudetypen (z.B. Wohnhaus, Lagerhalle, Stall, Fabrik). Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz mit automatisierten Lernelementen reduziert signifikant den manuellen Aufwand bei der Homogenisierung von Katasterkarten und verbessert die Kartenqualität. Die Technik kann für diverse Bildquellen (z.B. von Satelliten) und für weitere Fragestellungen wie z.B. die aktuelle Landnutzung oder die Ermittlung von angebauten Feldfrüchten verwendet werden.
KI in Umwelt, Landwirtschaft und Regionalentwicklung
- Schöpfwerke werden in ganz Deutschland von Unterhaltungs- und Wasserverbänden betrieben. Insbesondere in den Deichregionen entlang der Küste und an großen Flüssen sind Pump- und Schöpfwerke zu finden, die das Hinterland in Zeiten von hohen Pegelständen entwässern und überschüssiges Wasser in die Nordsee pumpen. In einem gemeinsamen Leuchtturmprojekt von Leuphana Universität Lüneburg und der Vetterkind GmbH die intelligente und effiziente Steuerung sowie die Regelung von Schöpfwerken erforscht. Durch KI-basierte Optimierung und Regressionsverfahren in Kombination mit Simulation soll Energie und CO2 eingespart werden. Die Ansätze versprechen bis zu 36 Prozent Energieeinsparpotenzial.
- Gemeinsam mit der Uni Clausthal, den Harz Wasserwerken und der Stadt Goslar hat das Land Niedersachsen ein KI-basiertes Hochwasservorhersageprojekt auf den Weg gebracht. Ziel ist es, die Vorhersagezeiten zu verkürzen und damit Vorwarnzeiten zu verlängern. Sicherheitskräfte können so besser auf extreme Hochwasserlagen reagieren, die Menschen haben mehr Zeit sich selbst in Sicherheit zu bringen und ihren Besitz zu schützen. Die Daten und Ergebnisse können Vorbild sein für ähnliche Projekte bundesweit.
- Im August 2022 wird ein neues Zukunftslabor im Bereich digitales Wassermanagement starten – vor dem Hintergrund, dass das Thema Wasser in der Zukunft noch relevanter werden wird, weil sich Niederschläge und die Verfügbarkeit von Wasser aufgrund des globalen Klimawandels verändern. Nach einer Evaluierung des ZDIN im 2. Halbjahr 2022 soll noch ein weiteres Zukunftslabor zu Beginn des Jahres 2023 ausgeschrieben werden. Dafür stehen insgesamt weitere 10 Millionen Euro zur Verfügung.
- Agri-Gaia ist ein wichtiges Verbundforschungsprojekt mit Schwerpunkt in Westniedersachsen (Koordination: Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Osnabrück). Es schafft ein Ökosystem für Künstliche Intelligenz (KI) für die mittelständisch geprägte Agrar- und Ernährungsindustrie auf Basis von GAIA-X. Dazu wird eine innovative Plattform für Geschäftsbeziehungen (B2B) realisiert, die branchenspezifisch adaptierte KI-Bausteine als leicht verwendbare Module bereitstellt und Anwender und Entwickler von KI-Algorithmen zusammenbringt.
- Intelligente Assistenzsysteme und hochautomatisierte Maschinen erhöhen die Effizienz und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Am Standort Osnabrück werden auf Basis künstlicher Intelligenz Sensorsysteme zur semantischen Umgebungswahrnehmung in der Landwirtschaft entwickelt. In einem Outdoor-Testfeld auf einer Agrarfläche wird so erstmals ein Umfeld geschaffen, das die schwierigen Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft reproduzierbar und verifizierbar abbildet, um KI-Algorithmen zur Dateninterpretation entwickeln und systematisch evaluieren zu können
- Mit dem Programm „Zukunftsregionen“ werden landkreisübergreifende Kooperationsprojekte zur Entwicklung innovativer Maßnahmen zur Regionalentwicklung unterstützt. Die Innovationsfähigkeit der Teilregionen wird durch Dienste und Anwendungen für digitale Kompetenzen und Prozesse gestärkt. Mit der Förderung sozialer Innovationen werden zudem KI-basierte, digitale Lösung erarbeitet.
[1] Gaia-X ist ein Projekt zum Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa, das von Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung aus Deutschland und Frankreich, gemeinsam mit weiteren, vorwiegend europäischen Partnern getragen wird. Der Name des Projektes leitet sich von einer der ersten aus dem Chaos entstandenen griechischen Gottheit Gaia ab, die in der Mythologie als personifizierte Erde für die Gebärerin steht. (https://de.wikipedia.org/wiki/GAIA-X)
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