Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 1. Senat | 1 ME 100/22 | Beschluss | Stellplatzanlage im Blockinnenbereich in (auch) gewerblich geprägten Gebieten

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OVG Lüneburg 1. Senat,
Beschluss vom
18.10.2022, 1 ME 100/22, ECLI:DE:OVGNI:2022:1018.1ME100.22.00

§ 34 Abs 1 BauGB, § 34 Abs 2 BauGB, § 15 Abs 1 S 2 BauNVO, § 5 BauNVO, § 6 BauNVO, § 47 BauO ND

Verfahrensgang

vorgehend VG Hannover, 22. August 2022, Az: 4 B 2648/22, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – 4. Kammer – vom 22. August 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller zu 1. und 2. einerseits sowie zu 3. und 4. andererseits tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens – untereinander gesamtschuldnerisch – jeweils zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine Monteursunterkunft, weil sie unzumutbare Lärmbeeinträchtigungen befürchten.

2

Die Antragsteller sind Eigentümer der im Aktivrubrum genannten Grundstücke im Ortsteil Bennigsen der Antragsgegnerin. Das in Nord-Süd-Richtung langgestreckte Grundstück der Antragsteller zu 3. und 4. liegt nördlich der Ortsdurchfahrt; daran schließt sich nördlich das von Norden über die Straße L. erschlossene Grundstück der Antragsteller zu 1. und 2. an. Beide Grundstücke sind jeweils straßenseitig mit selbst genutzten Wohnhäusern bebaut und verfügen über rückwärtige Gartenbereiche.

3

Die Beigeladene ist Eigentümerin des westlich angrenzenden Grundstücks M.. Das Grundstück ist straßenseitig mit einem Wohnhaus und einem – zwischenzeitlich entfernten – rückwärtigen Anbau bebaut. Das Wohnhaus wird seit einiger Zeit ungenehmigt als Monteursunterkunft genutzt. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. Juni 2020 legalisiert diese Nutzung und gestattet darüber hinaus die Errichtung eines rückwärtigen Anbaus. Insgesamt sind 2 Einzel- und 13 Doppelzimmer mit 28 Betten vorgesehen. Die Zimmer verfügen teilweise über eigene Badezimmer; teilweise werden Gemeinschaftsbäder genutzt. Zur Selbstverpflegung wird eine Gemeinschaftsküche vorgehalten. Der Betrieb übernimmt die Reinigung der Zimmer und stellt Bettwäsche sowie Handtücher zur Verfügung. Vorgesehen sind acht Stellplätze, von denen drei straßenseitig und fünf im rückwärtigen Grundstücksbereich angeordnet sind. Ausweislich der Betriebsbeschreibung werden überwiegend Monteure aus dem Ausland erwartet, die sich auch am Wochenende in der Unterkunft aufhalten können. Aufgrund von Nachbarbeschwerden über Ruhestörungen durch die Nutzung der Freiflächen im rückwärtigen Gartenbereich wird dieser zukünftig durch eine Hecke bzw. einen Zaun abgegrenzt. Eine Nutzung dieses Bereichs ist den Gästen ausdrücklich untersagt; dies regelt die Hausordnung, die ihrerseits Bestandteil der Baugenehmigung ist. Zudem wird ausweislich der Betriebsbeschreibung ein Hausmeister eingestellt.

4

In der näheren Umgebung des Baugrundstücks finden sich neben Wohnbebauung und kleinen Gewerbebetrieben (Gastwirtschaft, Modegeschäft, Pflanzenhandel) westlich auf dem Grundstück N. ein landwirtschaftlicher Betrieb, über dessen aktuelle Nutzung die Beteiligten streiten, sowie östlich auf dem Grundstück O. ein großflächiger Lebensmittelmarkt (REWE) mit angeschlossenen weiteren Geschäften. Wiederum östlich benachbart liegt der S-Bahnhof des Ortsteils. Ein Bebauungsplan für das Baugrundstück und die Nachbargrundstücke besteht nicht.

5

Gegen die Baugenehmigung richtet sich der Widerspruch von vormals sieben Antragstellern sowie ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss vom 22. August 2022 ablehnt. Die Monteursunterkunft sei auf dem Baugrundstück ihrer Art nach zulässig, weil die nähere Umgebung von Wohnbebauung, der landwirtschaftlichen Hofstelle und dem großflächigen Lebensmittelmarkt geprägt werde und sich daher als Mischgebiet, dörfliches Wohngebiet oder Gemengelage darstelle. In jedem Fall sei die Monteursunterkunft als Betrieb des Beherbergungsgewerbes zulässig. Gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoße sie nicht. Eine Nutzung der rückwärtigen Freiflächen durch die Gäste verbiete die Baugenehmigung; sie enthalte entsprechende gestalterische Vorgaben und sehe die Einstellung eines Hausmeisters vor, um das Nutzungsverbot durchzusetzen. Das sei ausreichend, um die Nutzung des nördlichen Grundstücksbereichs durch die Gäste zu verhindern. Auch die rückwärtige Anlage von Stellplätzen begegne noch keinen Bedenken. In der Umgebung gebe es Vorbilder für rückwärtige Stellplätze; ihre Zahl und konkrete Gestaltung schlössen unzumutbare Beeinträchtigungen aus. Die Anzahl der Stellplätze sei ausreichend bemessen.

6

Gegen diesen Beschluss wenden sich vier von vormals sieben Antragstellern mit ihrer Beschwerde, der die Antragsgegnerin und die Beigeladene entgegentreten.

II.

7

Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.

8

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.

1.

9

Ohne Erfolg wiederholen die Antragsteller ihre Auffassung, die nähere Umgebung des Baugrundstücks stelle sich als faktisches allgemeines Wohngebiet dar, innerhalb dessen der zur Genehmigung gestellte Beherbergungsbetrieb seiner Art nach unzulässig sei. Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass es sich um ein auch gewerblich geprägtes Gebiet in Gestalt eines Dorfgebietes (nicht: dörfliches Wohngebiet, vgl. § 245d Abs. 1 BauGB) oder einer Gemengelage handelt, in der das Vorhaben gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO bzw. § 34 Abs. 1 BauGB allgemein zulässig ist.

10

Zu Unrecht wenden sich die Antragsteller dagegen, dass das Verwaltungsgericht der landwirtschaftlichen Hofstelle N. prägende Wirkung beigemessen hat. Soweit sie behaupten, die landwirtschaftliche Nutzung der Hofstelle sei seit langem aufgegeben, sie präge ihre Umgebung daher nicht mehr, überzeugt das nicht. Nach Auskunft der Landwirtschaftskammer Niedersachsen vom 6. Oktober 2022 wird dort weiterhin Landwirtschaft im Haupterwerb betrieben und Betriebsprämie beantragt. Die von der Beigeladenen vorgelegten aktuellen Lichtbilder bestätigen diese Auskunft. Auf den Bildern sind unter anderem zwei verschiedene Traktoren und weitere landwirtschaftliche Fahrzeuge und Geräte zu sehen, die den Eindruck fortwährender Nutzung erwecken. Den gegenteiligen Eindruck der Antragsteller, der Traktor verfüge über keine Zulassung, und das sonstige Gerät sei alt und werde seit langem nicht benutzt, teilt der Senat nicht. Für eine fortbestehende landwirtschaftliche Nutzung spricht auch, dass auf der Hofstelle Freilandeier in einem Umfang verkauft werden, dass der Hof im Internet für den Verkauf wirbt. Selbst wenn es schließlich zuträfe, dass von der Hofstelle aus gegenwärtig keine landwirtschaftlichen Nutzflächen bewirtschaftet werden, wäre eine prägende Wirkung weiterhin zu bejahen. Denn in diesem Fall würde die Verkehrsauffassung angesichts des Erscheinungsbilds der Hofstelle mit einer Wiederaufnahme der Nutzung rechnen (vgl. näher Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 34 Rn. 39 [Stand der Bearbeitung: April 2019]).

11

Nicht zu überzeugen vermag auch die Auffassung der Antragsteller, der großflächige REWE-Markt stehe einer Einstufung als faktisches allgemeines Wohngebiet nicht entgegen. Außerhalb des zu betrachtenden Gebiets liegt dieser vom Baugrundstück weniger als 100 m entfernt gelegene Markt nicht. Dass die schmale und verkehrsarme Straße L. keine trennende Wirkung entfaltet, hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt. Eine prägende Wirkung kann dem Markt angesichts der geringen Entfernung, seiner beachtlichen Größe – das Grundstück mit Marktgebäude und zwei Parkplätzen misst rund 65 x 75 m – und der über den Ortsteil hinausreichenden Versorgungsfunktion nicht abgesprochen werden. Um einen klassischen Nahversorger (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) handelt es sich schon aufgrund der Großflächigkeit des Marktes nicht (vgl. § 11 Abs. 3 BauNVO).

12

Hinsichtlich der weiteren gewerblichen Nutzungen mag es sein, dass diese nach ihrem Umfang und ihrer Betriebsweise auch in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig sein können. Angesichts der Hofstelle und des REWE-Marktes und deren prägender Wirkung kommt es darauf jedoch nicht an.

2.

13

Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liegt aus den zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht vor. Richtig ist zwar, dass eine Baugenehmigung dann rechtswidrig ist, wenn sie die gebotene Konfliktbewältigung lediglich „auf dem Papier“ vortäuscht, weil beispielsweise losgelöst von den Verhältnissen des Einzelfalls Vorgaben gemacht werden, ohne dass geklärt ist, wie diese zu gewährleisten und zu überprüfen sind (vgl. Senatsbeschl. v. 9.8.2011 – 1 ME 107/11 -, NVwZ 2012, 124 = BRS 78 Nr. 183 = juris Rn. 29 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Das Baugenehmigungsverfahren zeigt im Gegenteil eindrucksvoll, dass sich die Antragsgegnerin erfolgreich bemüht hat, die wechselseitigen Interessen der Beteiligten zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Der nachvollziehbaren Besorgnis der Nachbarn, der rückwärtige Gartenbereich werde – wie in der Vergangenheit – regelmäßig in einer grob ruhestörenden und unzumutbaren Weise genutzt, begegnet die Baugenehmigung dadurch, dass dieser Bereich durch eine Hecke bzw. einen Zaun unzugänglich abgetrennt, die Nutzung durch Gäste untersagt und ein Hausmeister eingestellt wird, zu dessen Aufgaben die Durchsetzung des Nutzungsverbots gehört. Das ist insbesondere angesichts der Abtrennung des Gartens und der fehlenden Attraktivität des verbleibenden Außenbereichs für lautstarke Freizeitnutzungen eine realitätsgerechte und – auch darin ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen – praktisch durchsetzbare Gestaltung. Sie berücksichtigt das berechtigte Nutzungsinteresse der Beigeladenen und das auf den Erhalt ihrer Wohnruhe gerichtete Interesse der Nachbarn gleichermaßen und geht über das von den Antragstellern beklagte „Feigenblatt“ erheblich hinaus. Dabei stellt der Senat in seine Bewertung ein, dass das Grundstück der Beigeladenen angesichts seiner Lage im Dorfgebiet bzw. in einer Gemengelage eine gewerbliche Nutzung im rückwärtigen Bereich erlaubt und auch deshalb eine übermäßige Ruheerwartung der Nachbarschaft nicht gerechtfertigt ist.

3.

14

Die Anordnung von fünf Stellplätzen im rückwärtigen Grundstücksbereich begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Zur Anordnung von Stellplätzen und Garagen abseits von öffentlichen Verkehrsflächen gelten nach ständiger Rechtsprechung des Senats die folgenden Grundsätze: Stellplätze und Garagen sollen grundsätzlich möglichst nah an öffentliche Verkehrsflächen herangebaut werden, um kein Störpotenzial in Ruhezonen hineinzutragen, in denen bislang keine Fahrzeugbewegungen stattfanden. Dementsprechend sollen selbst nach § 47 NBauO erforderliche Garagen und Stellplätze in der Regel nicht im Hintergarten liegen oder in das Blockinnere eines Straßenkarrees vordringen. Das gilt jedoch nur, wenn dieses Karree durch Grünflächen bzw. durch relative Wohnruhe gekennzeichnet ist. Was danach bei Abwägung der konkurrierenden Nutzungsinteressen dem Bauherrn gestattet bzw. seinem Nachbarn zugemutet werden kann, richtet sich zum einen nach der Vorbelastung des geplanten Aufstellungsortes durch vergleichbare Anlagen, zum anderen nach der planungsrechtlichen Vorbelastung (vgl. Senatsbeschl. v. 18.7.2014 – 1 LA 168/13 -, BRS 82 Nr. 182 = juris Rn. 19; v. 19.1.2021 – 1 ME 161/20 -, BauR 2021, 804 = juris Rn. 9 f.).

15

Rücksichtslos ist die Anordnung der Stellplätze nach diesen Maßgaben nicht. Die planungsrechtliche Prägung der näheren Umgebung als faktisches Dorfgebiet bzw. als gewerbliche Nutzungen einschließende Gemengelage ermöglicht es im Grundsatz, das gesamte Baugrundstück, und zwar auch in seinem straßenabgewandten Bereich, landwirtschaftlich bzw. gewerblich zu nutzen. Zulässig sind damit Nutzungen, von denen eine deutlich größere Störintensität ausgehen würde, als sie von dem Vorhaben der Beigeladenen ausgehen wird. Für eine landwirtschaftliche oder gewerbliche Nutzung ist es eher die Regel als die Ausnahme, dass diese nicht bloß straßenzugewandt, sondern auch auf den rückwärtigen Hof- und Grundstücksflächen stattfindet und dort unter anderem mit Fahrzeugbewegungen einhergeht. Die Erwartung, der straßenabgewandte Bereich bleibe auf Dauer von emittierenden Nutzungen verschont, ist deshalb im (faktischen) Misch- oder Dorfgebiet bzw. in einer Gemengelage grundsätzlich nicht berechtigt und schließt – unabhängig davon, dass auch die auf die vorhandenen Nutzungen abzielenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts zutreffen (vgl. zur Maßgeblichkeit des gesamten Blockinnenbereichs jüngst Senatsbeschl. v. 10.10.2022 – 1 ME 49/22 -, juris Rn. 14) – einen Abwehranspruch der Antragsteller aus.

16

Ohne Erfolg bleibt die weitergehende Rüge, die Zahl der Stellplätze sei nicht ausreichend bemessen. Auf § 47 NBauO können sich die Antragsteller nicht berufen; diese Vorschrift ist nicht drittschützend. Das deshalb maßgebliche Gebot der Rücksichtnahme ist erst dann verletzt, wenn Beeinträchtigungen und Störungen durch fehlende Stellplätze aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse das vorgenannte Maß handgreiflich überschreiten und sich in der Umgebung des Baugrundstücks als unzumutbar darstellen (vgl. Senatsbeschl. v. 20.12.2013 – 1 ME 214/13 -, BauR 2014, 663 = BRS 81 Nr. 187 = juris Rn. 12; v. 3.11.2021 – 1 ME 42/21 -, juris Rn. 10). Das ist weder dargetan noch zu erwarten.

4.

17

Keinen Drittschutz vermittelt § 34 Abs. 1 BauGB mit Blick auf das aus der näheren Umgebung folgende zulässige Maß der baulichen Nutzung (vgl. nur Senatsbeschl. v. 18.8.2022 – 1 ME 57/22 -, juris Rn. 17 m.w.N.).

5.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, §§ 159, 162 Abs. 3 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.

19

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG; der Senat folgt den Erwägungen des Verwaltungsgerichts und berücksichtigt dabei, dass nur vier von vormals sieben Antragstellern Beschwerde führen.

 


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Quelle : Niedersachsen.de

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