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Nachbarverträglichkeit einer Zufahrt zu rückwärtigen Stellplätzen
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Zum Drittschutz einer Festsetzung „Bereich ohne Ein- und Ausfahrt“
Das Gewicht der für ein Vorhaben streitenden Interessen des Bauherrn ist im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots nur ausschlaggebend, wenn entweder eine den Nachbarn belastende, aber noch zumutbare Nutzung durch keinerlei nachvollziehbare Bauherrninteressen gerechtfertigt ist, oder wenn einer an sich unzumutbaren Belastung des Nachbarn ausnahmsweise besonders unabweisbare für das Vorhaben streitende Interessen gegenüberstehen.
OVG Lüneburg 1. Senat,
Beschluss vom
11.03.2022, 1 ME 151/21, ECLI:DE:OVGNI:2022:0311.1ME151.21.00
§ 31 Abs 2 BauGB, § 9 Abs 1 Nr 11 BauNVO
Verfahrensgang
vorgehend VG Oldenburg (Oldenburg), 4. Oktober 2021, Az: 4 B 2220/21, Beschluss
Tenor
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Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg – 4. Kammer (Einzelrichter) – vom 4. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
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Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
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Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Antragsteller wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Befreiung von einem durch Bebauungsplan festgesetzten Zufahrtsverbot in der Nähe ihres Grundstücks.
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Die Antragsteller sind Eigentümer zweier Wohnungen in dem Mehrfamilienhaus H. 8 in I. (Gemeinde Wangerland). Das Gebäude wurde in den 1970er Jahren gemeinsam mit den Gebäuden auf dem südlich angrenzenden Grundstück H. 10 – dem Vorhabengrundstück – und südlich von diesem H. 12 errichtet. Alle Gebäude sind mehrstöckig und beherbergen eine Vielzahl offenbar als Zweit- oder Ferienwohnungen genutzter Appartements. Das Gebäude H. 8 ist mit seinen Hauptwohnräumen nach Süden, die Gebäude H. 10 und 12 sind nach Osten orientiert. Alle drei Grundstücke werden über die im Osten von Nord nach Süd verlaufende, südlich des Grundstücks H. 12 nach Westen verschwenkende Straße H. erschlossen, an der seit Errichtung der Gebäude Einstellplätze im vorderen Grundstücksbereich liegen. Weitere Stellplätze – auf dem Vorhabengrundstück ca. 30 – sind im rückwärtigen Bereich der Gebäude H. 10 und 12 genehmigt. Sie wurden ursprünglich von Süden erschlossen, diejenigen auf dem Grundstück H. 10 mithin über das Grundstück H. 12. Die 1983 in Kraft getretene 1. Änderung des für die Grundstücke geltenden Bebauungsplans Nr. II/3 setzt straßenseitig Gemeinschaftsstellplätze und hinter diesen einen Bereich ohne Ein- und Ausfahrt fest. Alle drei Grundstücke sind als Reines Wohngebiet festgesetzt.
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Da die Eigentümer des Grundstücks H. 12 die Nutzung der südlichen Zufahrt zu den rückwärtigen Stellplätzen auf dem Vorhabengrundstück mittlerweile untersagen, möchte die Beigeladene sie über eine ca. 40 m tiefe Zufahrt entlang ihrer nördlichen, zum Antragstellergrundstück gelegenen Grundstücksgrenze erschließen. Zu diesem Zweck erteilte ihr der Antragsgegner unter dem 6. Mai 2021 eine Befreiung (§ 31 Abs. 2 BauGB) von dem Ein- und Ausfahrtverbot im Bebauungsplan.
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Den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres dagegen fristgerecht erhobenen Widerspruchs hat das Verwaltungsgericht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Befreiung verletze voraussichtlich keine Nachbarrechte. Die Festsetzung, von der befreit werde, sei als Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB grundsätzlich nicht drittschützend; auch aus dem Bebauungsplan sei nicht ersichtlich, dass hier ausnahmsweise ein Drittschutz gewollt gewesen sei. Die Antragsteller könnten mithin allenfalls geltend machen, bei der Befreiungserteilung seien ihre nachbarlichen Rechte nicht hinreichend berücksichtigt worden. Das sei hier nicht der Fall. Der Grundsatz, dass Einstellplätze möglichst kein Störpotential in rückwärtige Ruhezonen hineintragen sollten, sei hier nicht verletzt, da die Umgebung der geplanten Zufahrt durch die Gemeinschaftsstellplätze entlang der Straße H. erheblich vorbelastet sei; einige dieser Stellplätze lägen weit näher am Wohngebäude H. 8 als die geplante Zufahrt. Entlang der nördlichen Längsseite des Gebäudes H. 8 und auf der Westseite des Gebäudes H. 10 gebe es weitere Stellplätze. Die Zufahrt falle daneben nicht sonderlich ins Gewicht. Auch wenn die Wohnungen im Gebäude H. 8 ihren Wohn- und Ruhebereich nach Süden ausgerichtet hätten, sei bei einem Abstand von 20-26 m Luftlinie zur Zufahrt mit einer signifikanten Verkehrslärmzunahme nicht zu rechnen, zumal auf der Zufahrt langsam gefahren und – anders als auf den vorhandenen Stellplätzen – nicht rangiert werde. Dem stehe das Interesse der Eigentümer des Grundstücks H. 10 gegenüber, ihre anderenfalls gefangenen über 30 genehmigten rückwärtigen Einstellplätze nutzen zu können. Werde dies unmöglich, so sei zudem mit erhöhtem Parkdruck auf den Gemeinschaftsstellplätzen zu rechnen.
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II.
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Die Beschwerde, auf deren fristgerecht vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.
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Die Rüge der Antragsteller, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung eines Bereichs ohne Ein- und Ausfahrt in der 1. Änderung des Bebauungsplans Nr. II/3 zumindest auch dem Schutz der Wohnruhe der Eigentümer des Gebäudes H. 8 gegenüber rückwärtigem Stellplatzlärm diene, überzeugt nicht. Den Antragstellern ist darin zuzustimmen, dass diese Festsetzung im Zusammenhang mit der Festsetzung von (Gemeinschafts-) Stellplätzen entlang der öffentlichen Straße H. zu verstehen ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass es der Plangeberin darum ging, im hinter der Stellplatzreihe gelegenen Bereich eine von Wohnruhe geprägte Grünfläche abzusichern; hierfür hätte es sich eher angeboten, dort eine private Grünfläche (§ 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB) festzusetzen. Näher liegt, dass der ohnehin durch den Rangierverkehr der zahlreichen quer zur Straße angelegten Gemeinschaftsstellplätze belastete Bereich der Straße H. im Interesse der Verkehrssicherheit von weiterem Anliegerverkehr freigehalten werden sollte. Selbst wenn aber die Festsetzung dem Erhalt der bestehenden Außengestaltung der Wohnanlagen hätte dienen sollen, könnte dies ebenso gut im Interesse des Ortsbildes vorgesehen worden sein. Gegen eine nachbarschützende Zielrichtung der Vorschrift spricht namentlich, dass die Fläche ohne Ein- und Ausfahrten nicht nur im Grenzbereich zwischen den einzelnen Gebäuden, sondern auch mittig vor diesen und sogar ein Stück weit südlich des Gebäudes H. 12, also in Bereichen ohne Nachbarkonflikte festgesetzt ist.
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Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass die Erteilung der Befreiung den Antragstellern gegenüber voraussichtlich nicht rücksichtslos ist. Den Antragstellern ist zwar einzuräumen, dass eine Vorbelastung des hier in Rede stehenden Bereichs durch den von den nördlich des Gebäudes H. 8 gelegenen Stellplätzen ausgehenden Verkehr keine Rolle spielen dürfte. Auch wenn man dies in Rechnung stellt, hat die Annahme des Verwaltungsgerichts, der der geplanten Zufahrt zugewandte Bereich des Grundstücks H. 8 genieße nicht als bisherige Ruhezone im Sinne der Senatsrechtsprechung erhöhten Schutz, jedoch Bestand. Es handelt sich bei diesem nicht um einen durch vorhandene Bebauung bislang von bestehenden Verkehrsanlagen abgeschirmten rückwärtigen, sondern um einen von der Straße aus gesehen seitlichen Grundstücksbereich, der bereits bisher den Wirkungen des Straßenverkehrs sowie des straßenseitigen (östlichen) und in Teilen auch des rückwärtigen (westlichen) Stellplatzverkehrs mehr oder weniger ohne Abschirmung ausgesetzt ist. Die von den Antragstellern angeführte Senatsrechtsprechung, nach der auch in Grundstücksbereichen, die bisher nicht von besonderer Wohnruhe geprägt waren, eine Zunahme des Stellplatzverkehrs unzumutbar sein kann, wenn sie eine neue Größenordnung erreicht (vgl. Senatsbeschl. v. 6.5.2019 – 1 ME 37/19 -, juris Rn. 7; v. 19.11.2021 – 1 ME 76/20 -, BauR 2022, 220 = juris Rn. 18 m.w.N.), stellt die Erwägungen des Verwaltungsgerichts ebenfalls nicht in Frage. Der Süden des Antragstellergrundstücks wird bereits bisher vom Zu- und Abgangsverkehr einer Vielzahl an Stellplätzen beeinflusst; daran ändert sich durch die neue Zufahrt nichts Wesentliches. Zutreffend ist, dass der Verkehr in einigen Punkten dichter als bisher an die Südbalkone des Gebäudes H. 8 herangeführt wird und dass zum bisher einwirkenden Stellplatzverkehr neuer Verkehr hinzutritt, der bisher teilweise ganz außerhalb des Wahrnehmungsbereiches der Antragstellerwohnungen abgewickelt wurde. Eine neue Größenordnung wird hierdurch jedoch nicht erreicht, zumal der hinzutretende Verkehr, wie das Verwaltungsgericht zu Recht hervorgehoben hat, langsamer Durchfahrts- und kein Parkverkehr i.e.S. sein dürfte.
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Dass nach Erteilung der Befreiung längs der neuen Zufahrt drei Einstellplätze angelegt wurden, die Rangierverkehr verursachen und ggf. den Verkehrsfluss auf der Zufahrt behindern könnten, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Befreiung unerheblich; diese enthält keine Vorentscheidung für die Standortwahl etwaiger künftiger Stellplätze, sondern dispensiert lediglich von dem Verbot, diese von Osten her über eine entlang der Grenze zum Grundstück H. 8 führende, 5 m breite Zufahrt anzufahren. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ferner die nicht unerhebliche Entfernung von 20 bis 26 m zwischen der Zufahrt und den nächstgelegenen Immissionsorten auf dem Grundstück der Antragsteller berücksichtigt, die die Auswirkungen des Zufahrtsverkehrs relativiert. Ebenfalls nicht im Rahmen der Betätigung des Befreiungsermessens zu berücksichtigen war die von den Antragstellern geltend gemachte Belästigung durch Fußgänger- bzw. Trolleyverkehr auf der neuen Zufahrt. Der Schaffung eines Fußwegs hinter den Gemeinschaftsstellplätzen stand die Festsetzung „Bereich ohne Ein- und Ausfahrt“ nicht entgegen, diese bedurfte also der erteilten Befreiung nicht.
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Angesichts dessen ist unerheblich, ob die Beigeladene tatsächlich, wie das Verwaltungsgericht weiter angeführt hat, auf die Herstellung einer Zufahrt zu den rückwärtigen Stellplätzen angewiesen war, oder ob sie alternativ die Möglichkeit gehabt hätte, gegen angemessenes Entgelt von den Eigentümern des Grundstücks H. 12 ein Zufahrtsrecht zu den rückwärtigen Einstellplätzen auf dem ursprünglichen Weg von Süden her zu erlangen bzw. die rückwärtigen Einstellplätze durch Einstellplätze im vorderen Grundstückbereich mit einer weiter vom Antragstellergrundstück entfernten Zufahrt zu ersetzen. Das Gebot der Rücksichtnahme erfordert nicht, unter mehreren in Betracht kommenden Grundstücksnutzungen die nachbarverträglichste auszuwählen. Das Gewicht der für ein Vorhaben streitenden Interessen des Bauherrn ist im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebots nur entweder dann ausschlaggebend, wenn eine den Nachbarn belastende, aber noch zumutbare Nutzung durch keinerlei nachvollziehbare Bauherrninteressen gerechtfertigt ist, oder dann, wenn einer „an sich“ unzumutbaren Belastung des Nachbarn ausnahmsweise besonders unabweisbare für das Vorhaben streitende Interessen gegenüberstehen (zum ersteren Fall Senatsbeschl. v. 8.10.2020 – 1 ME 53/20 -, NVwZ-RR 2021, 12 = juris Rn. 34 m.w.N.). Beides ist hier nicht der Fall.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie das Verfahren durch eigenen Vortrag gefördert und sich durch Antragstellung einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 7 b), 17 b) der Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für ab dem 1. Juni 2021 eingehende Verfahren. Abweichend von der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist zu berücksichtigen, dass die Antragsteller sich nicht auf die Beeinträchtigung einer, sondern zweier Wohnungen berufen (Schriftsatz vom 15.6.2021, Bl. 21 ff. d. Gerichtsakte). Die Anpassung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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