Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 10. Senat | 10 OB 99/21 | Beschluss | Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs für Streitigkeiten um die Bewilligung von Baukindergeld

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Hier begehrt die Klägerin die Bewilligung eines Zuschusses aus dem KfW-Programm „Baukindergeld – Zuschuss (424)“ für den Erwerb einer Immobilie. Das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) hat die Beklagte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. c des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) damit beauftragt, das Baukindergeld durchzuführen. Zwischen der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das BMI, und der Beklagten wurde hierzu ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen. „Die Gewährung der Zuschüsse aus Mitteln des Bundes erfolgt auf Grund einer Richtlinie sowie des veröffentlichten Merkblatts, das Bestandteil sowohl der Richtlinie als auch des genannten Vertrags ist“ (BT-Drucks. 19/5479, S. 2). Dabei sind die Richtlinie vom 18. Februar 2019 und das Merkblatt Baukindergeld nicht nur im Wesentlichen inhaltsgleich, vielmehr wird in der Richtlinie ausdrücklich auf das Merkblatt verwiesen, in dem die Einzelheiten der Förderung geregelt seien. Mit dem Zuschuss „Baukindergeld (424)“ soll der Ersterwerb von selbstgenutzten Wohnimmobilien und Wohnungen für Familien mit Kindern und Alleinerziehende mit dem Ziel der Wohneigentumsbildung gefördert werden (BT-Drucks. 19/6940, S. 1), um die im EU-Vergleich sehr niedrige Wohneigentumsquote von Familien in Deutschland zu erhöhen (Merkblatt Baukindergeld, S. 1). Aus diesem öffentlichen Zweck der Aufgabe der Beklagten kann jedoch nicht ohne weiteres auch auf den öffentlichen Charakter der Erledigung dieser Aufgabe geschlossen werden, da die öffentliche Verwaltung bei der Erfüllung der ihr anvertrauten öffentlichen Aufgaben auch die Gestaltungsformen und Mittel des Privatrechts wählen kann, wenn und soweit keine öffentlich-rechtlichen Normen oder Rechtsgrundsätze entgegenstehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.10.1993 – 5 B 26.93 -, juris Rn. 5 m.w.N.; VGH Kassel, Beschluss vom 10.3.2020 – 10 E 330/20 -, n.v., Bl. 142 der Gerichtsakte). Da hier keine der privatrechtlichen Ausgestaltung der Zuschussvergabe entgegenstehenden Normen oder Rechtsgrundsätze ersichtlich und von der Klägerin auch nicht benannt sind, ist maßgeblich, wie die Beklagte die ihr übertragene Aufgabe konkret wahrnimmt (vgl. VG München, Beschluss vom 22.6.2020 – M 12 K 20.817 -, juris Rn. 19), ob also das öffentliche Recht auch die Ausführung der öffentlichen Aufgabe ausschlaggebend prägt oder ob diese (rein) privatrechtlich ausgestaltet ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.10.1993 – 5 B 26.93 -, juris Rn. 5). Auf die im Zusammenhang mit dem Zugang zu öffentlichen Einrichtungen bzw. zur kommunalen Daseinsvorsorge, aber auch im Bereich der Subventionsgewährung entwickelte „Zweistufentheorie“, wonach zwischen der Grundentscheidung des „Ob“ des Zugangs bzw. der Leistungsgewährung, die regelmäßig nach öffentlichem Recht zu beurteilen ist, und der konkreten Ausgestaltung – des „Wie“ – der Abwicklung des Rechtsverhältnisses, die auch privatrechtlich ausgestaltet sein kann, zu unterscheiden ist (vgl. dazu ausführlich den Senatsbeschluss vom 12.1.2022 – 10 OB 132/21-, juris Rn. 2 ff.), kann vorliegend nicht zurückgegriffen werden, da die begehrte Bewilligung des Baukindergeldes in einem einstufigen rein privatrechtlich ausgestalteten Verfahren erfolgt. Denn bei der Gewährung und Auszahlung von Baukindergeld findet keine separate – öffentlich-rechtliche – Entscheidung über das Ob der Leistungsgewährung aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Anspruchsnorm statt, vielmehr wird das Baukindergeld, sofern die Voraussetzungen gegeben sind, ohne jede Bescheidung lediglich im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrags zwischen dem Fördernehmer und der Beklagten bereitgestellt (BT-Drucks. 19/6940, S. 8), ohne dass insoweit eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage (nach den sonstigen Hinweisen auf Seite 5 des Merkblatts besteht kein Rechtsanspruch des Antragstellers auf die Förderung; selbst die Förderrichtlinien in der Ausgestaltung durch das im Verhältnis zum Förderungsnehmer maßgebliche Merkblatt sind Bestandteil des privatrechtlichen Vertrages) ersichtlich ist. Die Bewilligung von Baukindergeld ist damit möglicherweise als verlorener Zuschuss zu qualifizieren, der durch eine lediglich einstufige Entscheidungsstruktur gekennzeichnet ist (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 18.2.2020 – 7 A 3078/19 -, juris Rn. 11). Doch auch wenn bei der Vergabe verlorener Zuschüsse regelmäßig die Annahme gerechtfertigt ist, dass solche Subventionen auf der Grundlage des öffentlichen Rechts gewährt werden (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15.4.2011 – 8 OB 32/11 -, juris Rn. 10; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.10.2000 – 11 W 33/00 -, juris Rn. 10), so ist dieser Schluss keineswegs zwingend, sondern beim Vorliegen entgegenstehender Anhaltspunkte zu prüfen, auf welcher konkreten Grundlage die Zuschussgewährung erfolgt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.5.2006 – 3 B 78. 05 -, juris Rn. 9, 7; BGH, Urteil vom 17.11.2011 – III ZR 234/10 -, juris Rn. 18).

Quelle : Niedersachsen.de

Bilder: Titel Symbolbilder Niedersachsen by Pixabay.com / Niedersachsen.de

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