Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 13. Senat | 13 ME 498/21 | Beschluss | Verlust der Freizügigkeitsberechtigung und Abschiebungsandrohung; Freizügigkeitsrecht weder als Arbeitnehmer noch als arbeitssuchender oder nicht erwerbstätiger Unionsbürger

1st SECURITY SERVICE WERTHEIM ®

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss das Vorliegen der Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU zu Recht verneint. Nicht erwerbstätige Unionsbürger, wie der Antragsteller, erlangen die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 4 FreizügG/EU bei Aufenthalten von mehr als drei Monaten nur dann, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Der Antragsteller hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht (vgl. zum Glaubhaftmachungserfordernis im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO: Senatsbeschl. v. 4.9.2019
– 13 ME 282/19 -, juris Rn. 7; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 31.5.1999 – 10 S 2766/98 -, NVwZ 1999, 1243, 1244 – juris Rn. 12; Hessischer VGH, Beschl. v. 1.8.1991 – 4 TG 1244/91 -, NVwZ 1993, 491, 492 – juris Rn. 34; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 80 Rn. 125 m.w.N.), dass er über ausreichende Existenzmittel und einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz verfügt. Etwas Anderes folgt nicht aus der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004. Nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie steht das Aufenthaltsrecht Unionsbürgern nur solange zu, wie sie die in Art. 7 der Richtlinie genannten Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b) der Richtlinie auch, dass der Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel für sich und seine Familienangehörigen verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen und sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen. Allerdings darf nach Art. 14 Abs. 3 der Richtlinie die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger oder einen seiner Familienangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat nicht automatisch zu einer „Ausweisung“ führen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist hierfür vielmehr eine unangemessene Inanspruchnahme von Sozialleistungen erforderlich (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.7.2015 – BVerwG 1 C 22.14 -, juris Rn. 21 m. zahlr. Nachw. aus der Rspr. des EuGH). Die vom Antragsteller bereits im Antrags- und Klageverfahren dargelegte „Aufenthaltshistorie“ (vgl. Bl. 2 f. d. GA), die durch die Ausführungen im angefochtenen Bescheid vom 26. Februar 2020 und die entsprechenden Unterlagen im Verwaltungsvorgang (insb. Bl. 16 ff. d. BA) bestätigt wird, weist mit großer Deutlichkeit darauf hin, dass der Antragsteller während des weit überwiegenden Zeitraums seines Aufenthaltes nicht in der Lage war, seine Existenz aus eigener Kraft – auch nicht teilweise – sicherzustellen, sondern regelmäßig auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen war. Der Bezug dieser Leistung ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass der Betroffene nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 2.2.2016 – 3 B
267/15 -, juris Rn. 14; Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 FreizügG/EU, Rn. 41). Im Hinblick darauf spricht Vieles dafür, von einer langfristigen und damit unangemessenen Inanspruchnahme von Sozialleistungen auszugehen. Auch unter Berücksichtigung der konkreten persönlichen Umstände des Antragstellers ergibt sich nichts Anderes. Zwar leidet der Antragsteller an einer Erkrankung, die schon bei seiner Einreise bestand und die ihn bei der Arbeitssuche und insbesondere der Auswahl geeigneter Stellen einschränken mag. Es ist jedoch weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass er aufgrund der Erkrankung nicht arbeitsfähig war oder ist. Dies trägt der Antragsteller auch selbst nicht vor. Bei der Erkrankung handelt es sich zudem nicht um einen vorübergehenden Umstand. Der Antragsteller war während seines nunmehr siebenjährigen Aufenthalts lediglich für etwas mehr als zwei Monate erwerbstätig und konnte damit ausreichende Existenzmittel nur für diesen kurzen Zeitraum darlegen. In den Zeiträumen vom 1. Juni 2015 bis 30. Juni 2017, 1. September bis 31. Dezember 2017 sowie seit dem 2. August 2019 – und damit während eines Zeitraumes von rund fünf Jahren – bezog der Antragsteller Leistungen nach dem SGB II. Angesichts dieser bisherigen Erwerbsbiografie ist nicht damit zu rechnen, dass er in Zukunft seinen Bedarf vollständig oder auch nur weitgehend aus einem zu erzielenden Einkommen wird decken können. Unter Berücksichtigung der langjährigen, vollumfänglichen Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen würde es eine unangemessene Belastung für das nationale Sozialsystem in seiner Gesamtheit bedeuten, wenn es gleichermaßen für sämtliche Unionsbürger in der Lage des Antragstellers geöffnet und damit faktisch so etwas wie eine „Sozialleistungsfreizügigkeit“ begründet würde (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.10.2017 – 19 C 16.1719 -, juris Rn. 21, OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 20.9.2016 – 7 B 10406/16 -, juris Rn. 46). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs soll Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG nicht erwerbstätige Unionsbürger gerade daran hindern, das System der sozialen Sicherheit des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.2014 – C-333/13 – (Dano), juris Rn. 76).

Quelle : Niedersachsen.de

Bilder: Titel Symbolbilder Niedersachsen by Pixabay.com / Niedersachsen.de

Trotz Corona-Tote – Im März 2021 sind in Deutschland weniger Menschen gestorben als in den Jahren 2016-2020

S RAY PreSale Store