Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 5. Senat | 5 LA 174/20 | Beschluss | Anerkennung Dienstunfallfolge

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage, die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheids der Versorgungskasse zu verpflichten, das Vorliegen eines „Charcot-Fußes“ (rechts) als weitere Folge des Dienstunfalls vom 18. Dezember 2010 anzuerkennen, im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung eines weiteren Körperschadens (Charcot-Fuß) als Folge seines o. a. Dienstunfalles (Fraktur des Sprunggelenks des rechten Beines infolge eines Sturzes während einer Trauerfeier). Zur Anerkennung einer Diagnose als Dienstunfallfolge sei erforderlich, dass der jeweilige Körperschaden durch das Unfallereignis verursacht worden sei. Als Ursache im Rechtssinne auf dem Gebiet der beamtenrechtlichen Dienstunfallversorgung seien nur solche für den eingetretenen Schaden ursächliche Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt habe. Löse ein Unfallereignis ein bereits vorhandenes Leiden aus oder beschleunigte oder verschlimmerte es dieses, so sei das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewesen sei, also gewissermaßen „der letzte Tropfen“ gewesen sei, der „das Fass zum Überlaufen“ gebracht habe bei einer Erkrankung, „die ohnehin ausgebrochen wäre, wenn ihre Zeit gekommen“ sei. Keine Ursache im Rechtssinne seien demgemäß sogenannte Gelegenheitsursachen, d. h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung bestehe. Hinsichtlich der Beweislast gelte, dass der Beamte die materielle Beweislast für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen trage. Der Beamte habe daher den vollen Beweis hinsichtlich des Nachweises des Kausalzusammenhangs zu erbringen. Das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass der Dienstunfall vom 18. Dezember 2018 wesentlich zu der Diagnose eines Charcots-Fußes beigetragen habe. Ausgangspunkt dieser Einschätzung sei das [von der Beklagten während des Verwaltungsverfahrens eingeholte] Gutachten des Oberarztes Dr. D., Klinikum E., vom 8. Dezember 2015. Hierin heiße es, die Entwicklung des Charcot-Fußes ließe sich im Falle des Klägers am ehesten als Folge der Gesamtheit der Grunderkrankung betrachten. Die anerkannte Ursache eines Charcot-Fußes wäre eine diabetische Polyneuropathie (neurovaskuläre Theorie). Selbst bei Hinzuziehen der neurotraumatischen Theorie würden die Traumen/Verletzungen, die zu solch einer Veränderung führten, den Fuß (Ferse, Fußwurzel, Mittelfuß und Vorfuß) betreffen und wiederholt auftreten. Ein einmaliges Trauma am oberen Sprunggelenk führte nach den aktuellen Erkenntnissen eher nicht zu einer Entwicklung eines Charcot-Fußes. Die im Verlauf aufgetretenen Abszesse und Phlegmone befänden sich ebenfalls nicht im operativen Gebiet, sondern würden sich hauptsächlich auf den rechten Fuß (Ferse, Fußwurzel, Mittelfuß und Vorderfuß) beschränken. Ein direkter Zusammenhang zwischen Unfall/OP und dem Abszess/der Phlegmone wäre eher unwahrscheinlich. Ob das Trauma und die Ruhigstellung post-operativ eine Beschleunigung der Entwicklung und der Symptome des Charcot-Fußes nach sich gezogen hätten, wäre spekulativ. Wahrscheinlich wäre jedoch, dass sich bei parallel rascher Progression des Diabetes Mellitus der Charcot-Fuß auch unabhängig vom Unfall entwickelt hätte. Den in sich schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Gutachters schließe sich das Gericht an. Diese deckten sich insbesondere mit Erkenntnissen, die das Gericht aus frei verfügbaren medizinischen Quellen gewonnen habe. So heiße es im dem Aufsatz von Dr. Stefan Zimny „Diabetische neuropathische Osteoarthropathie“ (Deutsches Ärzteblatt 2015, 43 [7]), dass es für die Entstehung eines Charcot-Fußes an den Füßen von Diabetikern mit Neuropathie zwei unterschiedliche Hypothesen [zum einen: neurovaskuläre Hypothese, zum anderen: neurotraumatische Hypothese] gebe, die bislang nicht definitiv verifiziert wären. Der vom Kläger vorgelegte Behandlungsbericht [von Prof. Dr. F., Diabeteszentrum G., vom 27. Oktober 2014] sowie die von ihm vorgebrachten Einwände seien nicht geeignet, die nachvollziehbaren Darlegungen des Gutachtens zu entkräften. In seinem Behandlungsbericht habe Prof. Dr. F. darauf hingewiesen, dass der rechte Fuß des Klägers, an dem sich ein Charcot-Fuß entwickelt hätte, eine „Vorgeschichte“ aufwiese. Es wäre dort eine osteosynthetisch versorgte Sprunggelenksfraktur bekannt, die das Ergebnis eines Arbeitsunfalles wäre. Grundvoraussetzung für Charcot-Füße wäre eine ausgeprägte Neuropathie, wie sie beim Kläger vorläge. Häufig würde der Anstoß aber durch Traumen gegeben, so dass sich dann – bei gegebenen Voraussetzungen – ein Charcot-Fuß entwickelte. Insofern spräche einiges dafür, dass der Charcot-Fuß mit allen Komplikationen Folge dieses ursprünglichen Traumas wäre. Das Gericht bezweifle nicht die inhaltliche Richtigkeit dieser Ausführungen. Allerdings stelle auch hiernach das Trauma, welche häufig den Anstoß für die Entwicklung eines Charcot-Fußes gebe, in rechtlicher Hinsicht allenfalls eine Gelegenheitsursache dar, welche für die Annahme einer Kausalität zwischen Unfallereignis und Dienstunfallfolge nicht ausreiche. Dem Bericht von Prof. Dr. F. könne hingegen nicht entnommen werden, dass die „Auslösung“ eines Charcot-Fußes aus der Krankheitsanlage des Klägers heraus besonderer, in ihrer Art unersetzliche äußere Einwirkungen bedurft und nicht jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Im Übrigen sei festzustellen, dass sich Prof. Dr. F. in seinem Befundbericht mit keinem Wort zu der neurovaskulären Theorie geäußert habe, die ein Trauma bei der Entstehung eines Charcot-Fußes an den Füßen von Diabetikern mit Neuropathie gerade nicht beinhalte. Auch setze er sich nicht damit auseinander, dass die neurotraumatische Theorie von wiederholt auftretenden Traumen/Verletzungen ausgehe, die eine chronische Destruktion von Weichteil- und Knochenstrukturen hervorriefen, während der Kläger lediglich eine einzelne Verletzung am Sprunggelenk erlitten habe. Der Kläger dringe nicht mit dem Einwand durch, der von der Beklagten beauftragte Gutachter habe sich in dem Gutachten durch die Verwendung von Formulierungen wie „eher nicht“ und „keinen direkten Zusammenhang“ nicht genau festgelegt. Hierbei verkenne der Kläger, dass medizinische Kausalzusammenhänge regelmäßig nicht mit einer 100%igen Sicherheit bewiesen oder ausgeschlossen werden könnten. Dies sei im Dienstunfallrecht auch nicht erforderlich. So sei es ausreichend, dass die behaupteten Folgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf das Dienstunfallereignis zurückzuführen seien. Außerdem verfange nicht der Einwand des Klägers, der Charcot-Fuß hätte sich nur am rechten Fuß entwickelt, an dem auch das Trauma stattgefunden habe. Insoweit habe der von der Beklagten beauftragte Gutachter nachvollziehbar erläutert, dass sich ein Charcot-Fuß in den meisten Fällen – auch ohne Trauma – nur an einer Extremität manifestiere. In dieser Situation eines unsubstantiierten Vorbringens des Klägers sei durch das Gericht keine weitere Beweiserhebung zu veranlassen. Die angeregte Einholung eines Sachverständigengutachtens stelle sich als unzulässiges Ausforschungsbegehren dar. Für die vom Kläger aufgestellte Behauptung der Kausalität zwischen Dienstunfall einerseits und Diagnose eines Charcot-Fußes andererseits fehle es aus den genannten Gründen bereits an nachvollziehbaren Anhaltspunkten. Die angeregte Beweisaufnahme würde damit „ins Blaue hinein“ erfolgen.

Quelle : Niedersachsen.de

Bilder: Titel Symbolbilder Niedersachsen by Pixabay.com / Niedersachsen.de

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