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Zum Vorliegen höherer Gewalt und humanitärer Gründe im Sinne von Artikel 33 Visakodex
VG Stade 6. Kammer,
Beschluss vom
24.06.2022, 6 B 904/22, ECLI:DE:VGSTADE:2022:0624.6B904.22.00
§ 6 AufenthG, Art 33 EGV 810/2009
Tenor
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Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
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Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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I.
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Die Antragstellerin begehrt die Verlängerung des Gültigkeitszeitraumes ihres Visums um einen Monat.
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Die Antragstellerin ist thailändische Staatsangehörige. Im Jahr 2016 lernte sie den deutschen Staatsangehörigen Herrn G. H. kennen, mit dem sie mittlerweile verlobt ist. Nach den Angaben ihres Verlobten reiste die Antragstellerin bereits in den Jahren 2019, 2020 und 2021 jeweils mit einem Schengen-Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Einen Monat nachdem sie im Jahr 2021 nach Thailand zurückgekehrt war, folgte ihr Verlobter ihr dorthin.
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Am 14. Januar 2022 wurde der Antragstellerin von der Botschaft für die Bundesrepublik Deutschland in Bangkok ein Schengen-Visum mit einem Gültigkeitszeitraum vom 14. März 2022 bis zum 26. Juni 2022 und einer Aufenthaltsdauer von 90 Tagen erteilt.
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Ihren ursprünglich für den 27. März 2022 geplanten Flug in die Bundesrepublik Deutschland konnte die Antragstellerin nicht antreten, weil sie an COVID-19 erkrankt war. Bereits zuvor hatte ihr Verlobter seinen ursprünglich für den 27. Januar 2022 geplanten Rückflug wegen einer Coronaerkrankung in der Familie nicht antreten können. Ein weiterer, für den 10. April 2022 gebuchter Rückflug konnte wegen der Coronaerkrankung des Verlobten der Antragstellerin nicht angetreten werden.
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Am 20. April 2022 reiste die Antragstellerin schließlich über Paris in die Bundesrepublik Deutschland ein.
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Mit E-Mail vom . Mai 2022 beantragte der Verlobte der Antragstellerin bei dem Antragsgegner die Verlängerung des Gültigkeitszeitraumes des der Antragstellerin erteilten Visums bis zum 20. Juli 2022. Am 31. Mai 2022 hörte der Antragsgegner die Antragstellerin zu einer beabsichtigten Ablehnung dieses Antrags an. Der Verlobte der Antragstellerin nahm mit E-Mail vom 2. Juni 2022 zu der beabsichtigten Ablehnung Stellung. Mit E-Mail vom 14. Juni 2022 wandte sich der Verlobte der Antragstellerin an den Landrat des Antragsgegners. Dieser antwortete mit E-Mail vom 16. Juni 2022, dass er sich der Einschätzung seiner Ausländerbehörde anschließe.
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Die Antragstellerin hat am 20. Juni 2022 den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, dass für sie ein Verfügungsanspruch auf Verlängerung des Gültigkeitszeitraumes ihres Visums um einen Monat aufgrund höherer Gewalt und humanitärer Gründe bestehe.
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Es sei höherer Gewalt geschuldet, dass sie nicht mit Beginn des Gültigkeitszeitraumes ihres Visums am 14. März 2022, sondern erst ca. einen Monat später, nämlich am 20. April 2022, habe einreisen können. Ein Fall höherer Gewalt liege vor, weil die Coronaerkrankungen und damit die verspätete Einreise unverschuldet erfolgt seien. Sie seien weder durch vorsätzliches noch durch fahrlässiges Verhalten bedingt gewesen. Obwohl die Antragstellerin in Thailand extrem vorsichtig gewesen sei, so gut wie nur zum Einkaufen ausgegangen sei, immer einen Mund-Nasen-Schutz getragen und alle Hygienemaßnahmen beachtet habe, habe sie sich infiziert.
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Es lägen ferner humanitäre Gründe für die Verlängerung vor. „Humanitär“ bedeute „auf die Linderung menschlicher Not bedacht, ausgerichtet“. Der Aufenthalt der Antragstellerin lindere sowohl die physische als auch die psychische Notlage ihres Verlobten. Die Antragstellerin verweist dazu auf die Übersetzung einer ärztlichen Bescheinigung der Frau I. J., Fachärztin für Innere Medizin, vom 25. Oktober 2021. In dieser heißt es auszugsweise:
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„Mein Patient [der Verlobte der Antragstellerin] bewohnt allein sein Einfamilienhaus in […]. [Der Verlobte] hatte am 08.11.2013 einen Schlaganfall, verbunden mit Langzeitwirkungen und ist schwerbehindert.
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Aus medizinischer Sicht ist es zwingend erforderlich, ihn als alleinstehenden älteren Menschen sowohl physisch als auch psychisch zu betreuen.
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Diese auch zukünftig beabsichtigte und bereits praktizierte Betreuung ist somit ein „dringender und triftiger Grund“, seiner Verlobten und zukünftigen Ehefrau [Erläuterung des Gerichts: der Antragstellerin], den Aufenthalt im Schengen-Bereich zu gestatten.“
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Der Verlobte der Antragstellerin weist ergänzend zu dem Attest darauf hin, dass sich sein Gesundheitszustand seit dem Schlaganfall im Jahr 2013 mit zunehmendem Alter verschlechtert habe. Er sei im Jahr 1947 geboren. In den Jahren 2013 bis 2017 hätten seine damalige Ehefrau, seine Schwiegermutter und zwei Angestellte die Versorgung übernommen. Das Jahr 2018 habe er zu 80 % in Thailand verbracht. Die Antragstellerin sei ihm sowohl in der gemeinsamen Wohnung in Thailand als auch in Deutschland behilflich gewesen. Es falle ihm mit zunehmendem Alter und aufgrund seines Schlaganfalls immer schwerer, alleine zu leben, zu gehen und körperlich zu arbeiten. Er bedürfe dringend physischer und psychischer Hilfe, die am einfachsten und sichersten durch den Aufenthalt der Antragstellerin gegeben sei. Dadurch falle er dem Sozialstaat nicht zur Last. Auch die Antragstellerin nehme keine öffentlichen Leistungen in Anspruch, weil ihr Verlobter für sie eine Verpflichtungserklärung abgegeben habe.
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Mit Bescheid vom 20. Juni 2022, der Antragstellerin am 21. Juni 2022 zugegangen, lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Verlängerung des Schengen-Visums ab (Ziffer 1 des Bescheides). Zur Begründung führt er aus, dass kein Anspruch auf eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Schengen-Visums bestehe. Gemäß § 6 Absatz 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) könnten Schengen-Visa nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (im Folgenden: Visakodex) bis zu einer Gesamtaufenthaltsdauer von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen verlängert werden. Nach Artikel 33 Absatz 2 des Visakodex könne die Gültigkeitsdauer und/oder die Aufenthaltsdauer eines Visums verlängert werden, wenn der Visuminhaber schwerwiegende persönliche Gründe, die eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer oder der Aufenthaltsdauer rechtfertigen, belege. Es lägen keine schwerwiegenden persönlichen Gründe vor, welche eine Verlängerung rechtfertigten. Die Erkrankung und damit die mögliche Notwendigkeit der Betreuung des Verlobten der Antragstellerin bestehe bereits seit längerem und sei nicht plötzlich aufgetreten. Diese Situation sei daher im Vorfeld bekannt und planbar gewesen. Es sei nicht ersichtlich weshalb ein weiterer Aufenthalt der Antragstellerin, über das Gültigkeitsdatum des Visums hinaus, erforderlich sei, zumal der Aufenthalt ursprünglich auch nur bis zu dem Datum geplant gewesen sein musste. Die Art des Visums sei von vornherein nicht für eine längerfristige Betreuung ausgelegt. Es handele sich um ein Visum zum Kurzaufenthalt, also für Besuche oder touristische Zwecke. Des Weiteren sei die Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 20 Absatz 1 des Grundgesetzes ein Sozialstaat und leiste bei Bedarf Hilfe bei der Betreuung. Es sei auch keine Erklärung abgegeben worden, dass durch die verspätete Einreise Auswirkungen entstanden wären, welche einen längeren Aufenthalt notwendig machten. Die Möglichkeit der Verlängerung nach Artikel 33 Absatz 1 des Visakodex sei hier nicht einschlägig. Nach Artikel 33 Absatz 1 des Visakodex werde die Gültigkeitsdauer und/oder die Aufenthaltsdauer eines Visums verlängert, wenn Visuminhaber das Vorliegen höherer Gewalt oder humanitärer Gründe belege, aufgrund derer er daran gehindert sei, das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums, bzw. vor Ablauf der zulässigen Aufenthaltsdauer zu verlassen. Hier sei kein Grund angeführt worden, weshalb die Antragstellerin an der Ausreise vor Ablauf der Gültigkeitsdauer gehindert sei. Höhere Gewalt sei z.B. eine plötzliche Änderung des Flugplans durch die Fluggesellschaft wegen Wetterverhältnissen oder Streik. Humanitäre Gründe seien z.B. eine plötzliche schwere Erkrankung oder der Tod eines Familienmitglieds im Aufenthaltsstaat. Die Hilfs- und Betreuungsbedürftigkeit des Verlobten sei kein plötzliches Ereignis in diesem Sinne.
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Die Antragstellerin hat den Bescheid am 23. Juni 2022 mit einer weiteren Antragsbegründung zur Gerichtsakte gereicht und angekündigt, gegen diesen den Rechtsweg beschreiten zu wollen.
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Die Antragstellerin beantragt wörtlich,
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den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Gültigkeitsdauer des bereits vorhandenen 90-Tage-Schengen-Visums um einen Monat zu verlängern.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Er beruft sich zur Begründung auf die Gründe seines Bescheids vom 20. Juni 2022.
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Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners, Beiakte 001, Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
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Gemäß § 123 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zulässig, um einen vorläufigen Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zu regeln, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Gemäß § 123 Absatz 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Absatz 2 der Zivilprozessordnung hat der Antragsteller sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen.
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Ein Anordnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Gültigkeitszeitraum des Visums der Antragstellerin in Kürze, nämlich am 26. Juni 2022, abläuft. Deshalb liegen auch die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache vor.
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Die Antragstellerin hat jedoch einen Anordnungsanspruch nicht dargelegt. Der Antragsgegner hat es zu Recht abgelehnt, die Gültigkeitsdauer und die Aufenthaltsdauer des der Antragstellerin erteilten Schengen-Visums zu verlängern.
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Ein Anspruch käme allenfalls nach § 6 Absatz 2 Satz 2 AufenthG in Betracht. Gemäß § 6 Absatz 2 Satz 2 AufenthG kann ein Schengen-Visum für weitere 90 Tage innerhalb des betreffenden Zeitraums von 180 Tagen aus den in Artikel 33 des Visakodex genannten Gründen, zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder aus völkerrechtlichen Gründen als nationales Visum verlängert werden.
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Die Verlängerung des Visums der Antragstellerin ist offensichtlich nicht zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder aus völkerrechtlichen Gründen zu verlängern.
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In Artikel 33 Absatz 1 Satz 1 des Visakodex ist bestimmt, dass die Gültigkeitsdauer und/oder die Aufenthaltsdauer eines erteilten Visums verlängert wird, wenn die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats der Ansicht ist, dass ein Visuminhaber das Vorliegen höherer Gewalt oder humanitärer Gründe belegt hat, aufgrund deren er daran gehindert ist, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums bzw. vor Ablauf der zulässigen Aufenthaltsdauer zu verlassen. Gemäß Artikel 33 Absatz 2 Satz 1 des Visakodex können die Gültigkeitsdauer und/oder die Aufenthaltsdauer eines erteilten Visums verlängert werden, wenn der Visuminhaber schwerwiegende persönliche Gründe, die eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer oder der Aufenthaltsdauer rechtfertigen, belegt.
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Eine andere Rechtsgrundlage, aufgrund derer der Gültigkeitszeitraum des der Antragstellerin bereits erteilten Visums sich um einen Monat verlängern würde, ist nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere vermittelt das Visum selbst keinen Rechtsanspruch auf einen 90-tägigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Soweit das Visum unter „DAUER DES AUFENTHALTS“ die Angabe „90 TAGE“ beinhaltet, handelt es sich dabei um die Aufenthaltsdauer im Sinne von Artikel 33 des Visakodex. Das ist gemäß Ziffer 1.4 Anhang VII zum Visakodex die Zahl von Tagen, die sich der Inhaber des Visums im Gebiet, für das das Visum gilt, aufhalten darf. Diese Angabe ist aber im Zusammenhang mit den weiteren Angaben der Visumsmarke, insbesondere in den Feldern „GÜLTIG FÜR…“ und „VON … BIS“, zu sehen. Bei letzterer Angabe handelt es sich um die Gültigkeitsdauer des Visums im Sinne von Artikel 33 des Visakodex. Gemäß Ziffer 1.2 Anhang VII zum Visakodex wird nach dem Wort „BIS“ der letzte Tag der Gültigkeit des Visums abgegeben. Die Aufenthaltsdauer hat innerhalb der Gültigkeitsdauer des Visums zu erfolgen. Die Antragstellerin könnte eine Aufenthaltsdauer von 90 Tage nach ihrer Einreise am 20. April 2022 nur dadurch erreichen, dass die Gültigkeitsdauer des Visums nach Maßgabe vom Artikel 33 des Visakodex verlängert würde.
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Wann ein Fall höherer Gewalt oder humanitäre oder schwerwiegenden Gründe im Sinne von Artikel 33 des Visakodex anzunehmen ist, ist im Visakodex selbst nicht geregelt. Artikel 51 des Visakodex gestattet es der Europäischen Kommission jedoch, im Ausschussverfahren gemäß Artikel 52 Absatz 2 des Visakodex „Weisungen“ zur praktischen Anwendung der Bestimmungen des Visakodex festzulegen. Von dieser Befugnis hat die Europäische Kommission mit Beschluss vom 19. März 2010 über ein Handbuch für die Bearbeitung von Visumsanträgen und die Änderung von bereits erteilten Visa (im Folgenden: Visakodex-Handbuch) Gebrauch gemacht.
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Gemäß Teil V Ziffer 1.1 des Visakodex-Handbuchs ist als „Beispiel für einen Fall höherer Gewalt“ die „kurzfristige Änderung des Flugplans durch die Fluggesellschaft (z. B. wegen der Witterungsbedingungen, Streik)“ und als „Beispiel für humanitäre Gründe“ die „plötzliche schwere Erkrankung des Visuminhabers (d. h. Reiseunfähigkeit des Visuminhabers) oder plötzliche schwere Erkrankung oder Tod eines engen Verwandten, der in einem Mitgliedstaat lebt“ aufgeführt. Als „Beispiele für schwerwiegende persönliche Gründe“ sind aufgeführt: „Ein namibischer Staatsangehöriger ist nach Köln (Deutschland) gereist, um einen Familienangehörigen abzuholen, der sich dort einer Operation unterzogen hat. Am Vortag vor der geplanten Abreise erleidet der Patient einen Rückfall und darf das Krankenhaus erst zwei Wochen später verlassen.“ und „Ein angolanischer Geschäftsmann ist nach Italien gereist, um dort mit einem italienischen Unternehmen einen Vertrag auszuhandeln und mehrere Produktionsstätten zu besuchen. Die Verhandlungen dauern länger als erwartet, und der Geschäftsmann muss eine Woche länger bleiben als geplant.“ Es ist weiter ein Beispiel für einen persönlichen Grund, der keine Verlängerung des Visums rechtfertigt, aufgeführt, nämlich: „Ein bolivianischer Staatsangehöriger ist zu einem Familientreffen nach Schweden gereist. Auf dem Treffen begegnet er einem alten Freund und möchte seinen Aufenthalt um zwei Wochen verlängern.“
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Dies zugrunde gelegt hat die Antragstellerin weder höhere Gewalt, noch humanitäre Gründe noch schwerwiegende persönliche Gründe belegt.
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Die Coronaerkrankung der Antragstellerin bzw. die ihrer Kontaktpersonen stellen keine höhere Gewalt in diesem Sinne dar. Es liegt offensichtlich nicht der Beispielsfall der kurzfristigen Änderung des Flugplans durch die Fluggesellschaft vor. Es liegt aber auch kein vergleichbarer Fall vor. Die geltend gemachten Coronaerkrankungen betreffen nur die Einreise der Antragstellerin. Artikel 33 Absatz 1 Satz 1 Visakodex sieht die Verlängerung des Gültigkeitszeitraums eines Schengen-Visums aber nur für die Fälle vor, in denen ein Visumsinhaber wegen höherer Gewalt an der Ausreise gehindert ist. Verspätet sich die Einreise eines Visumsinhabers, ist es ihm – unabhängig davon, ob die verspätete Einreise auf höherer Gewalt oder einem verschulden beruhte – möglich und zumutbar, sein Visum vor der Einreise entsprechen anzupassen bzw. ein neues Visum zu beantragen.
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Die Antragstellerin hat das Vorliegen eines humanitären Grundes nicht belegt. Die Krankheit des Verlobten der Antragstellerin stellt keinen humanitären Grund im Sinne von Artikel 33 Absatz 1 Satz 1 Visakodex dar. Der Beispielsfall der plötzlichen schweren Erkrankung eines engen Verwandten, der in einem Mitgliedstaat lebt, ist hier nicht gegeben. Denn die Erkrankung des Verlobten der Antragstellerin ist jedenfalls nicht plötzlich aufgetreten und es ist nicht dargetan, dass sie sich plötzlich verschlechtert hat. Es liegt auch kein, mit einer plötzlichen schweren Erkrankung vergleichbarer Fall vor. Denn die Erkrankung und insbesondere auch deren Schwere und der damit verbundene Pflegeaufwand waren der Antragstellerin und ihrem Verlobten schon vor der Einreise bekannt. Auch im Hinblick auf die Erkrankung des Verlobten der Antragstellerin wäre es dieser möglich und zumutbar gewesen, ihr Visum entsprechend zu ändern oder ein neues (anderes) Visum zu beantragen.
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Die Krankheit des Verlobten der Antragstellerin stellt auch keinen schwerwiegenden persönlichen Grund im Sinne von Artikel 33 Absatz 2 Satz 1 des Visakodex dar. Dass die Erkrankung und Pflegebedürftigkeit des Verlobten der Antragstellerin sich unerwartet als schwerer oder aufwändiger dargestellt hat, als zunächst gedacht, ist nicht belegt. Vielmehr waren sich die Antragstellerin und ihr Verlobter bewusst bzw. hätten sich bewusst sein müssen, dass eine Fortsetzung der Lebensgemeinschaft nach Ablauf des Visums der Antragstellerin in Deutschland nicht möglich ist und hätten entsprechende Vorkehrungen treffen müssen. Es ist weiter nicht belegt, dass die Pflege des Verlobten der Antragstellerin nur durch diese und nur in Deutschland sichergestellt werden kann. Nach den eigenen Angaben des Verlobten der Antragstellerin beschäftigte dieser in der Vergangenheit mehrere Angestellte, die ihn pflegten. Des Weiteren hielt sich der Verlobte der Antragstellerin in den vergangenen Jahren, zuletzt Anfang des Jahres 2022, gemeinsam mit dieser in Thailand auf. Dass ihm eine Reise nach Thailand zur Fortsetzung der Lebensgemeinschaft mit der Antragstellerin bzw. zur Pflege durch diese nicht länger möglich ist, ist nicht dargelegt. Selbst wenn die Antragstellerin ohne ihren Verlobten nach Thailand zurückreisen würde, wäre diese räumliche Trennung nur vorübergehend, weil die Antragstellerin jederzeit ein neues Visum beantragen oder ihr Verlobter sie in Thailand besuchen könnte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO, wonach der unterlegene Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Hier unterliegt die Antragstellerin.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 53 Absatz 2 in Verbindung mit § 52 Absatz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Anlehnung an die Nummern 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf die Hälfte des Auffangwerts von 5.000,00 Euro in § 52 Absatz 2 GKG.
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