Versöhnung als zentrales Anliegen
Eine traurige Mitteilung erreichte die Stadt Wertheim: Shimon Schwarzschild ist am 10. November im Alter von 95 Jahren zu Hause in New York / USA gestorben. Der ehemalige jüdische Mitbürger hat mehrfach Wertheim besucht, zuletzt 2019 in Begleitung eines Filmteams. Daraus entstand eine Dokumentation, die unter dem Titel „Return to Wertheim“ inzwischen dauerhaft im Grafschaftsmuseum gezeigt wird. Das Projekt wurde mit Spenden aus Wertheim unterstützt.
Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez würdigt den Verstorbenen als „eine beeindruckende Persönlichkeit, die sich um die Versöhnung außerordentlich verdient gemacht hat.“ Er sei dankbar, dass er Shimon Schwarzschild 2019 noch persönlich kennenlernen durfte. „Shimon Schwarzschild hat mit seinem Versöhnungswerk ein Vermächtnis und uns die Verpflichtung hinterlassen, die Erinnerung an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte wachzuhalten.“
Shimon Schwarzschild, am 19. Dezember 1925 in Wertheim geboren, besuchte hier von 1931 bis 1935 die Volksschule. Mit seiner Familie emigrierte er aus dem von den Nationalsozialisten beherrschten Deutschland am 6. Februar 1936 nach New Jersey / USA. Dort führte er ein bewegtes Leben: Nach der High School leistete er als amerikanischer Staatsbürger ab 1943 seinen Wehrdienst als Radar-Techniker in der US-Marine und studierte anschließend Elektroingenieurwesen. Nach einem Umzug an die Westküste gründete und leitete Schwarzschild eine Kette von Youth Hostels an der kalifornischen Küste. Seinem Engagement für Tierschutz- und Umweltfragen ging er als leitender Mitarbeiter einer Umweltschutzorganisation nach und stand an der Spitze des Wal-Zentrums in Oakland / Kalifornien. Parallel dazu setzte er sich in zivilgesellschaftlichen und politischen Organisationen für eine Verbesserung der Lebensqualität in Städten ein. Während einer Europareise gründete Shimon Schwarzschild 1982 in Italien eine Vereinigung zum Schutz der Singvögel, die auch mit Ableger in San Francisco vertreten ist. Bis zu seinem Tod war er als Journalist, Autor und international anerkannter Natur- und Tierschützer tätig.
Auf Einladung des damaligen Wertheimer Oberbürgermeisters Karl Josef Scheuermann besuchte Shimon Schwarzschild mit seiner Familie 1975 das erste Mal nach seiner Flucht wieder Deutschland. Es folgten weitere Besuche in seiner Geburtsstadt. Jahrelanges Verarbeiten und der Austausch mit Freunden in Deutschland führten dazu, dass er seinen Hass gegenüber den Deutschen überwinden konnte. Bis zuletzt war Versöhnung sein zentrales Anliegen. Er kehrte bei seinen Deutschlandbesuchen zu den Stätten seiner Kindheitserinnerungen zurück, beim jüngsten Aufenthalt 2019 auch nach Dertingen, aus dem die Familie seines Vaters stammt. Er berichtete in der Comenius Realschule Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe 10 von seinem Leben und beteiligte sich am Stolpersteine-Erinnerungsdienst.
Anlässlich seines Besuchs im Jahr 2019 traf Shimon Schwarzschild auch mit Oberbürgermeister Markus Herrera Torrez zusammen. Dieser sicherte ihm die Unterstützung der Stadt für die geplanten Filmprojekte zu. Denn bei Shimon Schwarzschild war nach vielfältigen Begegnungen der Entschluss gereift, seine Geschichte im Film festzuhalten. In Zusammenarbeit mit dem New Yorker Regisseur Mark Coelho entstanden nach jahrelanger Vorarbeit zwei Kurzfilme, die Shimon Schwarzschild durch zahlreiche Spender im In- und Ausland verwirklichen konnte. Eine der beiden Dokumentationen ist auf YouTube zu sehen. Der zweite 18-minütige Kurzfilm „POEM – Return to Wertheim“, in dem man in die Gefühlswelt des Autors eintaucht, ist seit Juni 2021 in der jüdischen Abteilung des Grafschaftsmuseums zu sehen. Shimon Schwarzschild richtet sich in diesem Film vor allem an junge Menschen, die die Zeit des Nationalsozialismus nicht erlebt haben und an Flüchtlinge, in die er sich hineinversetzen kann. Er hofft, ihnen damit Kraft in einem fremden Land und Stärkung für ein Leben fern der verlorenen Heimat geben zu können.