02.03.2022 – 17:38
Mainz (ots)
Und der Tyrannenmord? Haben Sie sich auch schon bei dem Gedanken ertappt, ob ein Attentat auf Wladimir Putin aus seinem innersten Zirkel heraus nicht das Gebot der Stunde wäre? Schämen brauchen Sie sich dafür nicht – es wird kaum jemanden geben, der das in den vergangenen Tagen nicht gedacht hat. Der Gedanke ist auch alles andere als illegitim. An jedem Tag, an dem der Tyrann lebt, sterben auf beiden Seiten dieses Angriffskrieges hunderte unschuldiger Menschen. Und vom stetig wachsenden Hass, Leid und von Verwüstung, die Generationen überdauern werden, ist noch gar nicht gesprochen. Leo Tolstoi riet von gewaltsamem Widerstand ab, weil dieser selbst Unrecht sei. Es gibt aber Situationen, in denen dieser humanistische Einwand schlicht nicht mehr bindet. So wie der idealistische Pazifismus im Angriffs- und Vernichtungskrieg zu einer Farce wird. Nach dem nationalsozialistischen Völkermord, nach der Verwüstung Europas im Namen Hitlers haben die Väter des Grundgesetzes in unserer Verfassung sogar ein Recht auf Widerstand verankert (Art. 20, Abs. 4). Wobei umstritten bleibt, ob dieses Recht auch den Mord am Tyrannen umfasst. Auf den Theaterbühnen ist der Tyrannenmord – vor allem bei Shakespeare und Schiller – weitaus häufiger zu erleben als in der Realität. Der Cäsarenmord ist das bekannteste Beispiel aus der Antike, in der Griechen und Römer zwischen dem legitimen und dem illegitimen Tyrannen unterschieden. Die vereitelten Anschläge auf Hitler sind die größten Fehlschläge der Moderne. Ernsthafte Versuche, Stalin oder Mao zu Zeiten ihrer monströsen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beseitigen, sind nicht bekannt. Zu hoffen, ein Tyrannenmord gegen Putin könne dem Krieg gegen die Ukraine ein Ende bereiten und die europäische Friedensordnung wiederherstellen, wird ohnehin wohl ein unfrommer Wunsch bleiben. Das bühnenreife Schauspiel, mit dem Putin seinen Sicherheitsrat vor der Weltöffentlichkeit vorgeführt hat, hat zwei Dinge zur Gewissheit werden lassen: Dieser Mann lässt so gut wie niemanden mehr an sich heran. Und auch in seinem engsten Führungskreis gewiss niemanden, der sich nicht zuvor einer Leibesvisitation unterziehen müsste. Bleibt in Zeiten bewaffneter Drohnen das Attentat des militärischen Gegners? Nicht gegen einen Tyrannen, der mit seinen Atomwaffenarsenalen die Fähigkeit besitzt, die Welt unbewohnbar zu machen. Das wäre ein Risiko, das die Nato – ohne deren Unterstützung ein solcher Anschlag nicht denkbar wäre – selbst auf inständiges Drängen hin nicht eingehen kann und nicht eingehen darf.
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