Vier Gründe / Leitartikel von Friedrich Roeingh zu Anne Spiegels Rücktritt

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Allgemeine Zeitung Mainz

Mainz (ots)

Familienministerin Anne Spiegel hat sich endlich selbst erlöst. Alle Versuche, ihre Fehlleistungen zu bestreiten, auszusitzen und zum Schluss mit einem familiären Drama zu begründen, waren zum Scheitern verurteilt. Die bittere Ironie: Gerade mit dem so emotionalen Auftritt, mit dem Spiegel ihren Rücktritt noch abwenden wollte, hat sie sich endgültig ins politische Abseits manövriert. Anne Spiegel war aus gleich vier Gründen als Ministerin nicht mehr tragbar: Erstens: Sie hat sich in der Flutnacht und am Tag darauf aus der Verantwortung gestohlen. Wenn die Kapitänin bei Sturm das Ruder nicht selbst in die Hand nimmt, braucht es keine Kapitänin. Der SMS-Abgleich mit Mitarbeitern und einem Regierungssprecher, wie sie aus dieser Nummer unbeschadet herauskomme, war nur ein nachträglicher Ausdruck dieser grundsätzlichen Verweigerung von Verantwortung. Zweitens: Kein Minister kann nach einer solchen Tragödie wie der Flutkatastrophe mit 134 Todesopfern vier Wochen lang in Urlaub gehen. Niemand zweifelt an, dass Spiegels Familiensituation im vergangenen Sommer so war, wie sie jetzt geschildert hat. Sich aber für einen Tag Teilnahmsshow ins Ahrtal einfliegen zu lassen, war nicht nur ein klarer Täuschungsversuch. Es war gegenüber den Flutopfern und den Angehörigen der Toten schlicht unwürdig. Drittens: Als Spiegel immer mehr unter Druck geriet, hat sie der Öffentlichkeit Unwahrheiten aufgetischt. Dass ihr vielköpfiger Stab in Berlin mit der Spitze der Landesregierung über das Wochenende nicht abklären konnte, ob sie in ihrem Urlaub digital an Kabinettssitzungen teilgenommen hat, ist in keiner Weise nachvollziehbar. Rücktrittsgrund Nummer vier ist der bitterste: Wenn die familiäre Situation einen Amtsträger überlastet, muss er sein Amt zur Verfügung stellen. Mit ihrer Einlassung zur mangelnden Belastbarkeit ihres Mannes nach einem Schlaganfall vor drei Jahren hat Spiegel offengelegt, dass schon die Übernahme der Spitzenkandidatur für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz und die temporäre Übernahme eines zweiten Ministeramts ebenso Fehler waren wie die Übernahme des Familienministeriums in Berlin. Dass diese Kritik mitnichten ein Geschlechterthema ist, zeigen die seinerzeitigen Rücktritte von Franz Müntefering und Matthias Platzeck aus familiären und persönlichen Gründen. Die Causa Spiegel ist aber nicht nur eine persönliche Tragödie. Sie wirft auch grundsätzliche Fragen auf. Die Familienministerin gehört offenbar zur immer größeren Zahl von Spitzenpolitikern, die vor allem als Projektionsfläche funktionieren. Dass einem dazu bei der Union mit Andreas Scheuer, Jens Spahn und Philipp Amthor gleich drei Namen einfallen, macht das Phänomen nicht besser. In Mainz muss sich nun Ministerpräsidentin Malu Dreyer fragen lassen, inwieweit sie Spiegels Schwächen, Fehlleistungen und kaschierte Auszeiten gedeckt hat. Bei den Grünen in Rheinland-Pfalz steht vor allem Fraktionschef Bernhard Braun unter Druck, der als ihr Ziehvater gilt und ohne den Spiegel keinen ihrer strategisch bedeutsamen Schritte getan hat. Bundeskanzler Olaf Scholz schließlich kann es gar nicht gefallen, dass es einen ersten Personalwechsel in seinem Kabinett gibt. Die Frage, ob nicht auch die – zumindest in diesem Amt – überforderte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ihren Platz räumen muss, stellt sich unüberhörbar.

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