Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 1. Senat | 1 L 4006/00 | Urteil | Einzelfall: Abschiebungsschutz wegen der allgemeinen Bürgerkriegs- und Versorgungslage für Angolaner im Alter unter 15 Monaten, wenn hinreichende Betreuung durch Familie nicht gesichert ist.

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Auch in der Sache ist es nicht gerechtfertigt, mit dem Bad.-Württ. VGH anzunehmen, Kinder, welche wie der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland ihren ersten, den Fünfjahreszeitraum noch nicht vollständig ausfüllenden Lebensabschnitt leben und dabei sämtliche medizinische Vorsorgemaßnahmen erhalten können, welche hier Standard sind, seien im Falle ihrer Rückkehr so erhöhten Maßes gesundheitlichen Gefährdungen ausgesetzt, dass sie sehenden Auges dem sicheren Tod überantwortet würden. Es spricht zwar Einiges für die Annahme, Trinkwasser und Lebensmittel in Angola wiesen Besonderheiten auf, welche bei jedem, der nach Angola „zurückkehrt“ oder – wie der Kläger es tun müsste –  erstmals dorthin gelangt, unter anderem eine mit fiebrigen Erkrankungen begleitete Umstellung der Darmflora und sonstige nachteilige medizinische Begleitumstände zur Folge haben werden. Das ist indes kein Gesichtspunkt, der für sich als Besonderheit ausreichte, jedem Kind unabhängig von dem Stand der erreichten Impfungen und der damit vermittelten Abwehrkräfte die Rückkehr nach Angola zu ersparen, solange es das 5. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Eine solche Annahme wäre nur dann gerechtfertigt, wenn ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme bestünden, der hier vermittelte Impfschutz werde – erstens – die wesentlichen in Angola lauernden Gefahren nicht erfassen, und – zweitens -, die mit der Umstellung verbundenen Erkrankungen würden in einem Umfang Menschenleben unter den bis zu Fünfjährigen kosten, dass die Mortalitätsrate von bis zu Fünfjährigen um ganze „Größenordnungen“ angehoben würde. Bereits die zweite Annahme ist nach der Auskunftslage nicht gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249, 259) darf sich der Senat zwar nicht an starren Prozentzahlen orientieren, sondern er hat bei der Ausfüllung von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG die besonderen Umstände des Einzelfalles zu würdigen. Dabei ist zu beobachten, dass der oben beschriebene Vomhundertsatz von 30 (andere sprechen von 292 pro Tausend, so z.B. das Institut für Afrikakunde v. 15.10.1998 an das VG München) einen statistischen Durchschnittswert darstellt, der für ganz Angola gilt (vgl. etwa auch den statistischen Anhang zur Auskunft des UNICEF v. 5.11.1998 an das VG München, in der Erkenntnismittelliste unter dem Stichwort „Kindersterblichkeit“ enthalten). Eine regionale Differenzierung haben die Auskunftsstellen nicht vorzunehmen vermocht. Dazu reichten die statistischen Daten nicht aus. Sehr nachvollziehbar nimmt das Institut für Afrikakunde (Auskunft v. 15.10.1998 an das VG München) indes an, es bestünden bestimmte Erfahrungswerte. Danach sei die Kindersterblichkeit geringer in Städten als auf dem Land, geringer bei etwas betuchteren Personen als armen sowie geringer in der Hauptstadt als in den übrigen Städten. Unter diesen Umständen ist anzunehmen, dass die Sterblichkeit selbst von den Kleinkindern, die in den Slums von Luanda aufwachsen müssen, leicht unterhalb des Durchschnittswerts von 30 v.H. liegt. Dieser Durchschnittswert ist – was die Größenordnung anbetrifft – so niedrig, dass im Falle seines Eingreifens nicht gesagt werden kann, gleichsam jedes Kind unter fünf Jahren werde bei einer  „Rückkehr“ nach Angola gleichsam sehenden  Auges dem sicheren Tode überantwortet. Er wird hier nicht um „Größenordnungen“ verschoben, wenn man sich die oben genannten Risiken vor Augen führt. Es mag zwar sein, dass jeder Angolaner unter fünf Jahren, der, aus der Bundesrepublik Deutschland kommend, erstmals in sein Heimatland gelangt, die oben beschriebenen Umstellungsprobleme hat/haben wird. Es bedarf indes nicht erst der Einholung einer – hier auch nicht beantragten – medizinischen Expertise etwa eines Tropeninstituts, um beurteilen zu können, dass diese Probleme keinen Umfang annehmen, welcher die Mortalitätsrate um die Größenordnungen erhöht, ab der etwa würde gesagt werden können, Kleinkinder würden durch die mit dem erstmaligen Aufenthalt in ihrem Heimatland verbundenen Umstellungsschwierigkeiten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tode überantwortet. Denn es ist zu berücksichtigen, dass mehrere Auskunft gebende Stellen, so z.B. das Institut für Afrikakunde (vgl. Auskunft v. 15.10.1998 an das VG München) und der UNHCR (vgl. dessen Positionspapier vom September 1999 zur zwangsweisen Rückführung abgelehnter Asylsuchender nach Angola) auch und gerade die Situation zurückkehrender Asylsuchender behandeln und dabei „vor Ort“ Informationen ermitteln. Keine dieser Auskünfte enthält einen hinreichenden Anhaltspunkt dahin anzunehmen, die oben beschriebenen Umstellungsschwierigkeiten belasteten zurückkehrende Angolaner unter fünf Jahren in einem Umfang, dass die Mortalitätsrate signifikant über diesen etwa 30 v.H. liegen würde. Erst das würde zunehmend die Annahme zu rechtfertigen vermögen, solche Kinder würden ungeachtet der Hilfe, welche ihnen die mit zurückkehrenden Erwachsenen leisten könnten, sehenden Auges „dem Untergang geweiht“.

Quelle : Niedersachsen.de

Bilder: Titel Symbolbilder Niedersachsen by Pixabay.com / Niedersachsen.de

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