Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: OVG Lüneburg 11. Senat | 11 LB 198/20 | Urteil | Verfolgungsgefahr für belutschische Volkszugehörige in Pakistan; Auslandsaufenthalt; Asylantragstellung; exilpolitische Tätigkeit

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Für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist – wie bei § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK – aufgrund weitgehend identischer sachlicher Regelungsbereiche auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 10; Beschl. v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6 u. Beschl. v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris Rn. 8; ferner NdsOVG, Urt. v. 14.3.2022 – 4 LB 20/19 – juris Rn. 75 u. Urt. v. 16.6.2022 – 4 LB 25/19 – juris S. 32 UA). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entnimmt Art. 3 EMRK die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in ein bestimmtes Land abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass er im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, Urt. v. 11.6.2020 – 17189/11 – BeckRS 2020, 11873 Rn. 113; derselbe, Urt. v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 Rn. 173; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 13). Zu prüfen sind dabei die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage im Abschiebungszielstaat als auch der persönlichen Umstände des Ausländers (EGMR, Urt. v. 6.6.2013 – 2283/12 – BeckRS 2014, 80857 Rn. 95; vgl. auch NdsOVG, Beschl. v. 11.3.2021 – 9 LB 129/19 – juris Rn. 130). Eine Schlechtbehandlung muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Schutzbereich des Art. 3 EMRK zu fallen. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie etwa der Art und dem Kontext der Fehlbehandlung, der Dauer, den körperlichen und geistigen Auswirkungen, sowie – in einigen Fällen – vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (EGMR, Urt. v. 21.1.2011 – 30696/09 – ZAR 2011, 395, Rn. 219; derselbe, Urt. v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127 Rn. 94; vgl. auch NdsOVG, Beschl. v. 11.3.2021 – 9 LB 129/19 – juris Rn. 98; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 4 AsylG Rn. 10, jeweils m.w.N.). Eine unmenschliche Behandlung hat der Gerichtshof beispielsweise angenommen, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. Von einer erniedrigenden Behandlung ist der Gerichtshof ausgegangen, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt, sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, ihren moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen (vgl. EGMR, Urt. v. 21.1.2011 – 30696/09 – NVwZ 2011, 213 Rn. 220 ff. m.w.N.; vgl. auch NdsOVG, Urt. v. 14.3.2022 – 4 LB 20/19 – juris Rn. 77; dasselbe, Beschl. v. 11.3.2021 – 9 LB 129/19 – juris Rn. 98; OVG Hamburg, Urt. v. 23.2.2022 – 1 Bf 282/20.A – juris Rn. 27; SächsOVG, Urt. v. 28.5.2020 – 3 A 665/19.A – juris Rn. 19). Aufgrund des in § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG enthaltenen Verweises auf § 3 c AsylG muss die unmenschliche oder erniedrigende Behandlung außerdem stets von einem der dort genannten Akteure ausgehen (BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 – 1 C 11/19 – juris Rn. 11 f.; dasselbe, Beschl. v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6; dasselbe, Urt. v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 29; vgl. auch NdsOVG, Beschl. v. 11.3.2021 – 9 LB 129/19 – juris Rn. 101), also vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens zu bieten.

Quelle : Niedersachsen.de

Bilder: Titel Symbolbilder Niedersachsen by Pixabay.com / Niedersachsen.de

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