Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteile vom 27.2.2020, u. a. – C-773/18 -, juris Rn. 71 ff.) darf der Beginn der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG nicht in der Weise festgesetzt werden, dass ein Arbeitnehmer möglicherweise nicht innerhalb dieser Frist erkennen kann, dass und in welchem Umfang er diskriminiert worden ist, so dass ihm die Geltendmachung seiner Ansprüche unmöglich ist. Beginnt diese Frist mit dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem der Arbeitnehmer von der behaupteten Diskriminierung Kenntnis erlangt, wird ihm die Ausübung der vom Unionsrecht verliehenen Rechte nicht unmöglich gemacht und auch nicht übermäßig erschwert. Eine Person ist aber nur dann in der Lage, das Vorliegen oder den Umfang einer ihr widerfahrenen Diskriminierung zu erkennen, wenn sie sowohl die Ungleichbehandlung, der sie ausgesetzt ist, als auch den Grund dieser Ungleichbehandlung und den diskriminierenden Charakter der aus diesem Grund resultierenden Ungleichbehandlung erkennen kann. Der Europäische Gerichtshof hat zu dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren betreffend das Land Sachsen-Anhalt ausgeführt: Da §§ 27, 28 BBesG a. F. vorgesehen hätten, dass die Grundgehaltsstufe eines Beamten innerhalb der jeweiligen Besoldungsgruppe bei seiner Einstellung nach dessen Lebensalter zu bestimmen gewesen sei, hätten die Kläger der Ausgangsverfahren ab dem Zeitpunkt ihrer Einstellung sowohl ihre Ungleichbehandlung als auch deren Grund erkennen können. Dagegen erscheine in den Ausgangsverfahren unstreitig, dass die Kläger zum Zeitpunkt ihrer Einstellung weder erkannt hätten noch hätten erkennen können, dass die Ungleichbehandlung, der sie aus diesem Grund ausgesetzt gewesen seien, diskriminierend gewesen sei. Aus den Vorlageentscheidungen gehe hervor, dass sie davon erst kurz vor Erhebung ihrer Widersprüche Kenntnis erlangt hätten. Zwar gehe aus dem Umstand, dass mehrere Tausend Beamte ihre Anträge innerhalb der in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehenen Frist eingereicht hätten, klar hervor, dass der auf den 8. September 2011 festgesetzte Fristbeginn die Ausübung der durch § 15 Abs. 2 AGG verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht habe. Andere Anhaltspunkte sprächen aber dafür, dass die Ausübung dieser Rechte durch die Beamten übermäßig erschwert worden sei, da der Fristbeginn so festgesetzt worden sei, dass die Gefahr bestanden habe, dass sie nicht innerhalb der Zwei-Monatsfrist hätten erkennen können, dass oder in welchem Umfang sie diskriminiert worden seien. Das Urteil vom 8. September 2011 (- C-297/10 und C-298/10, Hennigs und Mai -, juris) habe nicht die für die Kläger des Ausgangsverfahrens geltende nationale Regelung betroffen. Das zuständige Land Sachsen-Anhalt und die zuständigen Bundesbehörden hätten im Anschluss an die Verkündung dieses Urteils die Auffassung vertreten, dass dieses nicht auf Beamte und Richter übertragbar sei. Diese Auffassung sei bis zur Verkündung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juni 2014 (- C-501/12, Specht -, juris) „von der Mehrheit der deutschen Verwaltungsgerichte“ geteilt worden. Demnach habe das Urteil vom 8. September 2011 die Rechtslage im Hinblick auf §§ 27, 28 BBesG a. F. weder für die zuständigen Behörden des Landes Sachsen-Anhalt noch für die zuständigen Bundesbehörden oder für die Mehrheit der deutschen Verwaltungsgerichte hinreichend geklärt. Unter diesen Umständen habe die Gefahr bestanden, dass die Beamten des Landes Sachsen-Anhalt nicht innerhalb von zwei Monaten nach Verkündung dieses Urteils hätten erkennen können, dass oder in welchem Umfang sie diskriminiert worden seien. Diese Gefahr scheine sowohl dadurch bestätigt, dass die Kläger der Ausgangsverfahren nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts die Bedeutung dieses Urteils für ihre eigene Besoldung nicht sofort erkannt hätten, als auch dadurch, dass über 60 % der Widersprüche von Beamten und Richtern des Landes Sachsen-Anhalt wegen Verspätung zurückgewiesen worden seien. Nach alledem sei der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verbiete, den Beginn einer Ausschlussfrist von zwei Monaten für die Stellung eines Antrags auf Ersatz des Schadens, der aus einer Maßnahme entstanden sei, die eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle, auf den Tag der Verkündung eines Urteils des Gerichtshofs festzusetzen, mit dem der diskriminierende Charakter einer ähnlichen Regelung festgestellt worden sei, wenn die Gefahr bestehe, dass die Betroffenen nicht innerhalb der Frist hätten erkennen können, dass oder in welchem Umfang sie diskriminiert worden seien. Dies könne insbesondere dann der Fall sein, wenn in dem betreffenden Mitgliedstaat Uneinigkeit über die Frage bestehe, ob dieses Urteil auf die betreffende Maßnahme übertragbar sei. Es obliege jedoch den nationalen Gerichten, anhand sämtlicher einschlägigen tatsächlichen und rechtlichen Umstände die erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen, um festzustellen, ob der Beginn der in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehenen Frist so festgelegt worden sei, dass die Ausübung der ihnen durch § 15 Abs. 2 AGG verliehenen Rechte durch die Beamten übermäßig erschwert worden sei.
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