Rechtsprechung | Nds. Landesjustizportal – Dokument: VG Braunschweig 6. Kammer | 6 A 11/03 | Urteil | Zurückstellung vom Schulbesuch und Zuweisung zum Schulkindergarten nach Einschulung

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VG Braunschweig 6. Kammer,
Urteil vom
15.05.2003, 6 A 11/03, ECLI:DE:VGBRAUN:2003:0515.6A11.03.0A

§ 64 Abs 2 S 1 SchulG ND, § 64 Abs 2 S 2 SchulG ND

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich dagegen, dass er während des laufenden Schuljahres vom Schulbesuch zurückgestellt und zum Besuch eines Schulkindergartens verpflichtet worden ist.

2

Der am 24. April 1996 geborene Kläger besucht seit Beginn des Schuljahres 2002/2003 die 1. Klasse der A. -Schule (Grundschule) in B..

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Mit Bescheid vom 8. November 2002 stellte ihn der Leiter der Grundschule für die Dauer des Schuljahres vom Schulbesuch zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, in den ersten Unterrichtsmonaten habe sich gezeigt, dass der Kläger nicht mit der Aussicht auf Erfolg am Unterricht teilnehmen könne. Er bedürfe der ständigen Unterstützung der Lehrerin und sei in seiner Feinmotorik, seinem Konzentrations- und seinem Durchhaltevermögen noch nicht genügend entwickelt. Altersangemessene Arbeitsaufträge verstehe er nicht. Die Zurückstellung erfolge auch, um dem Kläger ständige Überforderungen und Misserfolgserlebnisse zu ersparen. Der Kläger sei nicht schon nach den ersten sechs Schulwochen zurückgestellt worden, weil er keinen Kindergarten besucht habe, im Rahmen der Anfängeruntersuchungen in der Schule nicht vorgestellt worden sei und auch keine näheren Ausführungen des Gesundheitsamtes vorgelegen hätten. Aus diesen Gründen sei mehr Zeit erforderlich gewesen, um den Kläger gerecht bewerten zu können.

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Mit einem weiteren Bescheid vom 8. November 2002 verpflichtete der Schulleiter den Kläger für das laufende Schuljahr zum Besuch des Schulkindergartens der Grundschule in B..

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Unter dem 13. November 2002 forderten die Eltern des Klägers die Schule auf, den Zurückstellungsbescheid „zurückzunehmen“. Dabei wiesen sie auf eine Hausaufgabe vom 13. November 2002 hin, die der Kläger allein und zutreffend gelöst habe. Die in dem Bescheid enthaltenen Äußerungen widersprächen der Fürsorgepflicht des Schulleiters sowie den Erkenntnissen der „Pisa-Studie“ und seien wahrheitswidrig. Ihre eigenen Beobachtungen hätten das Gegenteil bewiesen.

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Mit Schriftsatz vom 19. November 2002, der am 21. November 2002 bei der Bezirksregierung einging, erhob der damalige Prozessbevollmächtigte der Eltern gegen beide Bescheide Widerspruch. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Amtsarzt habe nach Untersuchung des Klägers vor dessen Aufnahme in die Schule keine Bedenken gegen die Schulfähigkeit geäußert. Es sei davon auszugehen, dass die Entwicklungsrückstände durch regelmäßigen Schulbesuch aufgearbeitet werden könnten. Außerdem bestehe die Möglichkeit, die Rückstände zu Hause im Umgang mit den Geschwistern auszugleichen.

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Im Rahmen seiner unter dem 18. November 2002 erfolgten Stellungnahme zum Widerspruch gab der Schulleiter u.a. an, als Ausgleich für die von ihm nicht zu bewältigenden Unterrichtsanforderungen zeigten sich bei dem Kläger bereits „Ersatzhandlungen“ in der Form von unterrichtsstörenden Aktivitäten.

8

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2002, der am 13. Dezember 2002 zugestellt wurde, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dazu führte sie aus, der Überforderung des Klägers, die sich auch in den berichteten Verhaltensauffälligkeiten zeige, könne durch die Zurückstellung vom Schulbesuch und die Förderung im Schulkindergarten sinnvoll begegnet werden.

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Mit Bescheid vom 17. Dezember 2002 setzte die Beklagte die Kosten für das Widerspruchsverfahren auf 50,00 Euro fest.

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Am 12. Januar 2003 hat der Kläger durch seine Eltern Klage erhoben. Eine Begründung hat er nicht vorgelegt.

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Der Kläger beantragt,

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den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2002 aufzuheben und festzustellen, dass er in Klasse 1 zu verbleiben hat und die erforderliche Schulreife besitzt,

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den Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 7. Dezember 2002 aufzuheben und die Kosten der Beklagten und der Schule aufzuerlegen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat einen Lernstandsbericht der Klassenlehrerin Frau C. vom 7. März 2003 sowie einige von dem Kläger in der Schule und zu Hause angefertigte Arbeiten vorgelegt; auf den Inhalt dieser Unterlagen wird Bezug genommen (Beiakten B – F).

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Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung die Klassenlehrerin Frau C. und die Kooperationslehrerin Frau D. informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klagen, über die das Gericht gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) trotz Ausbleibens des Klägers und seiner Eltern in der mündlichen Verhandlung entscheiden kann, haben keinen Erfolg.

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I. Soweit sich der Kläger gegen die Zurückstellung vom Schulbesuch sowie die Zuweisung zum Schulkindergarten wendet, ist die Klage mit dem vorliegenden Klageantrag unzulässig. Der Schüler und seine Eltern können eine gerichtliche Überprüfung dieser Behördenentscheidungen nur dadurch erreichen, dass sie eine Anfechtungsklage erheben, die auf die Aufhebung der von der Schule erlassenen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides gerichtet ist (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Kläger dagegen hat lediglich die Aufhebung des Widerspruchsbescheides beantragt. Ein solcher Antrag ist nur dann zulässig, wenn dieser Bescheid einen Dritten erstmalig beschwert oder gegenüber den Bescheiden der Schule eine zusätzliche selbstständige Beschwer enthält (§ 79 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwGO). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Auch der Feststellungsantrag ist unzulässig, weil der Kläger seine Rechte mit einer gegen die Bescheide der Schule und den Widerspruchsbescheid gerichteten Anfechtungsklage verfolgen kann (vgl. § 43 Abs. 2 VwGO). Darüber hinaus hätte er die Klage allein gegen die Schule richten müssen (vgl. § 78 VwGO).

21

Die Kammer kann offen lassen, ob die Klage ohne ausdrückliche Zustimmung des Klägers umgestellt und umgedeutet werden kann. Denn auch eine gegen die A. -Schule (Grundschule) gerichtete und zutreffend formulierte Klage hätte keinen Erfolg. Die Bescheide der Schule vom 8. November 2002 und der Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2002 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

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1.) Rechtsgrundlage für die Zurückstellung schulpflichtiger Kinder vom Schulbesuch ist die Regelung in § 64 Abs. 2 Satz 1 Nds. Schulgesetz (NSchG). Danach kann eine solche Zurückstellung für die Dauer eines Jahres erfolgen, wenn das Kind körperlich, geistig oder in seinem sozialen Verhalten nicht genügend entwickelt ist, um mit der Aussicht auf Erfolg am Unterricht der Grundschule oder einer Sonderschule teilzunehmen. Erforderlich sind also die Feststellung eines Entwicklungsrückstandes in einem der genannten Bereiche und eine daraus herzuleitende negative Erfolgsprognose. Die Regelung bringt zum Ausdruck, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber von fehlender „Schulfähigkeit“ bzw. „Schulreife“ ausgeht. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so steht die Entscheidung über die Zurückstellung im Ermessen des dafür zuständigen Schulleiters. Dieses Ermessen ist entsprechend dem Zweck des § 64 NSchG und unter Einhaltung der gesetzlichen Grenzen auszuüben (§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 40 VwVfG). Das Gericht darf die Ermessensentscheidung nur darauf überprüfen, ob dieser rechtliche Rahmen eingehalten wurde (§ 114 Satz 1 VwGO). Aus dem Zweck der Regelung ergibt sich insbesondere, dass die Zurückstellung nur ausgesprochen werden darf, wenn sie angesichts der Art des festgestellten Entwicklungsrückstandes geeignet ist, die noch nicht vorhandene Schulfähigkeit herzustellen (sog. Eignungs- oder „Nachreife“-Prognose; vgl. VG Braunschweig, Beschl. vom 08.08.2002 – 6 B 528/02 – m.w.N.). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung – insbesondere auch für die Richtigkeit der zu treffenden Prognosen – kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung an. Das Gericht darf jedoch berücksichtigen, ob der im Zeitpunkt seiner Entscheidung gegebene Sachverhalt die den Bescheiden zu Grunde liegenden Feststellungen bestätigt.

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Nach diesen Maßstäben hat die Schule den Kläger zu Recht vom Schulbesuch zurückgestellt. Dem Bescheid des Schulleiters vom 8. November 2002 zufolge haben die Lehrkräfte seinerzeit festgestellt, dass dem Kläger noch einige für das erfolgreiche Lernen in der Schule bedeutsame Fähigkeiten und Fertigkeiten fehlten. So habe der Kläger insbesondere noch der ständigen Unterstützung der Lehrer bedurft und nicht allein arbeiten können. Neben diesen, den sozial-emotionalen Bereich der Schulfähigkeit (die geistigen und sozialen Fähigkeiten des Schülers) betreffenden Defiziten sind aber auch unzureichende Fertigkeiten und Fähigkeiten im Bereich der körperlich-motorischen und der kognitiven Kompetenz festgestellt worden. So habe sich insbesondere bei Ausschneidearbeiten und beim Schreiben von Zahlen und Buchstaben eine nicht genügend entwickelte Feinmotorik gezeigt. Altersangemessene Arbeitsaufträge habe der Kläger nicht verstanden. Zahlworte und Laute habe er den entsprechenden Zeichen nicht sicher zuordnen können.

24

Aus der Art und Vielzahl der festgestellten Defizite ergibt sich, dass der Entwicklungsstand des Klägers seinerzeit noch nicht dem eines durchschnittlichen Schulanfängers entsprochen hat. Dass die Schule die festgestellten Auffälligkeiten als Entwicklungsrückstände gewertet hat, entspricht den aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnissen (vgl. Breuer/
Weuffen
, Lernschwierigkeiten am Schulanfang, Neuausgabe 2000, S. 22 ff., 178 ff.; dieselben, Besondere Entwicklungsauffälligkeiten bei Fünf- bis Achtjährigen, 3. Aufl., S. 94 ff.). Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Schule auf dieser Grundlage zu der Prognose gelangt ist, der Kläger erfülle noch nicht die Voraussetzungen, um mit der Aussicht auf Erfolg am Schulunterricht teilnehmen zu können.

25

Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der von den Lehrkräften getroffenen Feststellungen zu zweifeln. Insbesondere sind die Ausführungen zu feinmotorischen und kognitiven Problemen des Klägers an Hand der vorliegenden, im Zeitraum bis zur Widerspruchsentscheidung angefertigten Schreibübungen und Lernzielkontrollen nachvollziehbar (vgl. Beiakten E und D).

26

Die in den angegriffenen Bescheiden dargelegten Feststellungen und die dort getroffenen Prognosen werden im Ergebnis durch den Lernstandsbericht der Klassenlehrerin vom 7. März 2003 (Beiakte F) sowie neuere schriftliche Leistungskontrollen und Hausaufgaben (Beiakten B bis E) bestätigt. Insbesondere bedarf der Kläger nach dem Lernstandsbericht weiterhin der ständigen persönlichen Ansprache und Betreuung. Seine vorgelegten schriftlichen Arbeiten zeigen, dass die grundlegenden Probleme im geistig-kognitiven Bereich (insbesondere im Hinblick auf das Aufgabenverständnis) und im körperlich-feinmotorischen Bereich (beim Schreiben von Buchstaben und Zahlen) fortbestehen. Dass die Hausaufgaben des Klägers häufig nur deswegen unvollständig angefertigt werden, weil seine Eltern die Aufgabenstellung als unverständlich bezeichnen, ist letztlich nicht von entscheidender Bedeutung. Auch unabhängig davon sind derart viele und weitreichende Entwicklungsverzögerungen festgestellt worden, dass die Prognose der Schule zu den Erfolgsaussichten der Unterrichtsteilnahme jedenfalls eine hinreichende Grundlage hat.

27

Darüber hinaus haben die Lehrerinnen Frau C. und Frau D. in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt, dass gegenwärtig weiterhin erhebliche Defizite im Bereich der Motorik und des Sozialverhaltens bestehen. Der Kläger sei in der Schule überfordert. Diese Einschätzung wird erneut bestätigt durch die Ergebnisse eines Diktates vom Mai 2003 und zweier aktueller Mathematikarbeiten, die Frau C. in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat.

28

Dass der Amtsarzt bei der vor dem Beginn des Schuljahres erfolgten Schulfähigkeitsprüfung keine Bedenken geäußert hat, steht den Feststellungen und Prognosen der Schule nicht entgegen. Eine tragfähige Aussage über die Fähigkeiten und Fertigkeiten des Schulkindes lässt sich nicht selten erst nach der Erprobung in der Anfangsphase des Erstunterrichts treffen. Insbesondere sind vertiefte Erkenntnisse über das soziale Verhalten des Kindes erst nach der Kontaktaufnahme mit der Klassengemeinschaft möglich. Die den Lehrerinnen und Lehrern aus der täglichen Unterrichtsbeobachtung möglichen Erkenntnisse über die schulbezogenen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Schülers stehen bei der amtsärztlichen Untersuchung noch nicht zur Verfügung.

29

Die Eltern des Klägers gehen in der Begründung des Widerspruchs zwar zutreffend davon aus, dass bei der für die Zurückstellung vom Schulbesuch erforderlichen Prognose über den Erfolg einer Unterrichtsteilnahme auch zu berücksichtigen ist, inwieweit das Kind in der Schule gefördert werden kann: Die negative Erfolgsprognose ist nur dann tragfähig, wenn Tatsachen dafür ersichtlich sind, dass die Voraussetzungen für die erfolgreiche Unterrichtsteilnahme vorerst trotz der möglichen und gezielten schulischen Förderung des Kindes nicht erfüllt sind (im Ergebnis ebenso VG Hannover, Beschl. vom 15.12.1998 – 6 B 7910/98 -). Die Schule und die Bezirksregierung sind jedoch zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass auch die in der Schule möglichen Förderungsmaßnahmen dem Kläger voraussichtlich noch nicht zu einer erfolgreichen Teilnahme am Unterricht verhelfen werden. Die Richtigkeit dieser Prognose wird dadurch bestätigt, dass er trotz der inzwischen erfolgten Einzelförderung nach dem Lernstandsbericht vom 7. März 2003 weiterhin erhebliche Entwicklungsrückstände aufweist. In der mündlichen Verhandlung haben die Lehrerinnen Frau C. und Frau D. zwar noch einmal hervorgehoben, dass der Kläger unter dem Einfluss der Förderungsmaßnahmen individuelle Fortschritte gemacht habe; diese seien aber nicht ausreichend, um das Klassenziel zu erreichen und die bestehenden Entwicklungsrückstände zu beseitigen. Diese Einschätzung ist nach den der Kammer vorliegenden neueren schriftlichen Arbeiten des Klägers nachvollziehbar. Für die Richtigkeit der Prognose spricht außerdem, dass die geleistete Einzelförderung nur begleitend möglich ist und nicht alle Bereiche abdecken kann, in denen der Kläger Entwicklungsrückstände aufweist. Eine darüber hinausreichende individuelle Förderung ist nach den in der mündlichen Verhandlung erfolgten und auch insoweit überzeugenden Angaben des Schulleiters und der Lehrkräfte in der Schule nicht möglich.

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Entgegen der Auffassung der Eltern kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Entwicklungsrückstände unter Einbeziehung der älteren Geschwister zu Hause ausgleichen lassen. Die gegenwärtigen Leistungen und der Entwicklungsstand des Klägers zeigen, dass seit der Einschulung trotz aller Möglichkeiten einer häuslichen Förderung keine entscheidenden Fortschritte erzielt werden konnten.

31

Die Eltern des Klägers können auch nicht erfolgreich geltend machen, dass ihre eigenen Beobachtungen zu Hause die Bewertungen der Lehrkräfte nicht bestätigen. Für die Zurückstellung vom Schulbesuch ist eine Prognose über die erfolgreiche Teilnahme am Schulunterricht zu treffen. Dafür sind die in der Schule zum Ausdruck gekommenen Fertigkeiten und Fähigkeiten des Kindes maßgeblich, weil die Lehrkräfte nur diese aus eigener Anschauung bewerten können. Im Übrigen haben die Eltern nicht hinreichend substanziiert und nachvollziehbar dargelegt, welche Beobachtungen der Prognose der Lehrkräfte entgegenstehen sollen. Selbst wenn die Angaben der Eltern zuträfen und ihr Sohn Hausaufgaben in Einzelfällen tatsächlich auch allein und richtig gelöst hat, spricht dies nicht gegen die Richtigkeit der auf einer umfassenden Bewertung aller Auffälligkeiten des Klägers beruhenden Prognose über die gegenwärtigen Erfolgsaussichten einer Unterrichtsteilnahme.

32

Auch die Ausübung des dem Schulleiter bei der Zurückstellung vom Schulbesuch gesetzlich eingeräumten Ermessens ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Zurückstellung vom Schulbesuch dient dazu, das noch nicht schulfähige Kind vor der durch die Teilnahme am Schulunterricht drohenden ständigen Überforderung, den zu erwartenden Misserfolgserlebnissen sowie den aus Lernschwierigkeiten am Schulanfang resultierenden negativen Langzeitwirkungen zu schützen und ihm Zeit zu geben, die für den erfolgreichen Schulbesuch erforderlichen grundlegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln (vgl. Breuer/
Weuffen
, Lernschwierigkeiten am Schulanfang, S. 18 f.; dieselben, Besondere Entwicklungsauffälligkeiten bei Fünf- bis Achtjährigen, 3. Aufl., S. 27 f.). Damit soll zugleich erreicht werden, dass der Unterrichtsbetrieb nicht über das erforderliche Maß hinaus beeinträchtigt wird. Diesen Regelungszwecken entspricht die Entscheidung der Schule. Frau D. und Frau C. haben in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, die Zurückstellung vom Schulbesuch sei eine gute Möglichkeit für den Kläger gewesen, die Lernvoraussetzungen für das 1. Schuljahr zu erwerben.

33

Auch im Übrigen hat die Schule ihr Ermessen rechtmäßig ausgeübt. Die Zurückstellung vom Schulbesuch ist grundsätzlich auch noch nach der Aufnahme des Kindes in die Schule zulässig. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Schule dabei entgegen der sonst üblichen Praxis verfahren ist und die Entscheidung daher gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Nach Nr. 5.2 der ergänzenden Bestimmungen zur Schulpflicht und zum Rechtsverhältnis zur Schule (Erlass des MK vom 29.08.1995, SVBl S. 223, i.d.F. des Erlasses vom 16.03.1999, Nds. MBl S. 181) ist eine Zurückstellung zwar grundsätzlich schon nach den ersten sechs Schulwochen auszusprechen. Die Frist kann jedoch in begründeten Einzelfällen bis zum 1. Dezember des Jahres verlängert werden. Danach ist die Schule auch hier verfahren. Dass die Frist verlängert wurde, weil das Gesundheitsamt keine Bedenken gegen die Schulfähigkeit erhoben, der Kläger keinen Kindergarten besucht hatte und ihm vor der Entscheidung über die Zurückstellung mehr Zeit zur Eingewöhnung in eine größere Gemeinschaft gewährt werden sollte, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Unerheblich ist auch, dass die Schule die Frist ohne einen entsprechenden Antrag der Eltern verlängert hat. Dies entspricht nach den Angaben des Schulleiters in der mündlichen Verhandlung der ständigen Praxis der Schule; der Vertreter der Bezirksregierung hat erklärt, eine anderslautende Anweisung gebe es nicht. Darüber hinaus lässt sich schon dem Wortlaut des Erlasses nicht entnehmen, dass ein solcher Antrag erforderlich ist (a. A. im Ergebnis Brockmann in: Seyderhelm/Nagel/Brockmann, NSchG, Loseblattausgabe, Stand: September 2002, § 64 Anm. 5).

34

Der Leiter der Grundschule hat seine ihm nach dem Schulgesetz obliegenden Pflichten mit dem Erlass des angegriffenen Bescheides erfüllt. Für eine ihm vorzuwerfende Pflichtverletzung gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Die gegenteilige Auffassung der Eltern des Klägers entbehrt jeder Grundlage.

35

2.) Der Kläger ist auch rechtmäßig zum Besuch des Schulkindergartens verpflichtet worden. Nach § 64 Abs. 2 Satz 2 NSchG darf diese Verpflichtung ausgesprochen werden, wenn das an sich schulpflichtige Kind nicht schulfähig im Sinne des § 64 Abs. 2 Satz 1 NSchG ist und im Übrigen objektiv zu erwarten ist, dass sich der Besuch des Schulkindergartens förderlich auf die Entwicklung des Kindes auswirken wird (VG Braunschweig, Urt. vom 10.11.1994 – 6 A 61302/94 -). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Im Schulkindergarten sollen die vom Schulbesuch zurückgestellten Kinder frei von schulspezifischen Arbeitsanforderungen die grundlegenden Fähigkeiten und Fertigkeiten für das erfolgreiche Lernen in der Schule erwerben (Ziff. II 2. des Erlasses des MK vom 07.05.1981, SVBl S. 112, i.d.F. des Erlasses vom 31.03.1992, SVBl S. 161). Da der Kläger nach den vorliegenden Unterlagen gerade über diese Fähigkeiten und Fertigkeiten noch nicht verfügt hat, durfte die Schule davon ausgehen, dass der Besuch des Schulkindergartens geeignet ist, die zur Zurückstellung führenden Entwicklungsrückstände auszugleichen. Die Lehrerinnen Frau C. und Frau D. haben in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass für den Kläger eine gute Möglichkeit bestanden hätte, die Lernvoraussetzungen für das 1. Schuljahr im Schulkindergarten zu erwerben.

36

Die Zuweisung des Klägers zum Schulkindergarten ist damit rechtmäßig. Ob es sinnvoll ist, den Kläger für den verbleibenden, relativ kurzen Zeitraum des Schuljahres noch in den Schulkindergarten zu schicken, oder ob auf die Vollstreckung des Zuweisungsbescheides verzichtet werden sollte, obliegt der pädagogischen Beurteilung der Schule.

37

Weil die Eltern des Klägers nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen sind und auch zuvor kein unmittelbarer Kontakt zu Stande gekommen ist, sieht sich das Gericht veranlasst, auf Folgendes hinzuweisen: Nach der allgemeinen Lebenserfahrung und den aktuellen fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist es für die Entwicklung eines Kindes insbesondere im Schulanfangsalter von entscheidender Bedeutung, inwieweit es für den Schulbesuch Mithilfe und Unterstützung von seinen Eltern erfährt (vgl. Breuer/
Weuffen
, Besondere Entwicklungsauffälligkeiten bei Fünf- bis Achtjährigen, S. 32). Insbesondere kann ein vertrauensvolles Zusammenwirken zwischen Eltern und Schule ganz entscheidend dazu beitragen, dass das Kind sich wohlfühlt und altersangemessen entwickelt. Das Gericht hat wegen der Vielzahl der sich aus den vorliegenden Unterlagen ergebenden Eingaben und Beschwerden der Eltern gegenüber der Schule nicht den Eindruck gewinnen können, dass der Vater und die Mutter des Klägers sich nachhaltig um eine solche vertrauensvolle Zusammenarbeit bemüht haben. Sie sollten bedenken, dass das Ausmaß an Konfrontation zwischen ihnen und der Schule, das mittlerweile erreicht ist, nicht im Interesse ihrer Kinder liegen kann.

38

II. Die auf die Aufhebung des Kostenfestsetzungsbescheides der Beklagten gerichtete Klage ist unzulässig, weil das gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO vor Klageerhebung erforderliche Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet. Die angegriffene Festsetzung der für das Widerspruchsverfahren zu entrichtenden Kosten auf 50,00 Euro ist nach den in dem Bescheid genannten Rechtsvorschriften rechtlich nicht zu beanstanden.

39

III. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

40

Die Streitwertfestsetzung erfolgt in Anwendung des § 13 Abs. 1 und Abs. 2 GKG. Die Kammer bemisst den Streitwert für eine gegen die Zurückstellung vom Schulbesuch gerichtete Klage in ständiger Rechtsprechung mit 4000,00 Euro. Für die gegen die Zuweisung zum Schulkindergarten gerichtete Klage hat die Kammer unter Berücksichtigung der eigenständigen gesetzlichen Regelung dieser Maßnahme und der sich im vorliegenden Fall gleichwohl teilweise überschneidenden Fragestellungen einen Streitwert von zusätzlich 2000,00 Euro angenommen. Der Streitwert für die gegen den Kostenfestsetzungsbescheid erhobene Klage beläuft sich auf die Höhe der in dem Bescheid festgesetzten Kosten (50,00 Euro).

41

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 VwGO sind nicht ersichtlich.

 


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Quelle : Niedersachsen.de

Bilder: Titel Symbolbilder Niedersachsen by Pixabay.com / Niedersachsen.de

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