Die Einhaltung von Verfahrensvorschriften ist grundsätzlich voll gerichtlich überprüfbar. Dem Prüfungsverfahren kommt für den Grundrechtsschutz des Prüflings, insbesondere der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)) und der Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) hohe Bedeutung zu, die den bei der eigentlichen Bewertung der Prüfungsleistung eingeschränkten Grundrechtseinfluss ausgleicht. Verfahrensvorschriften erlangen deshalb im Prüfungswesen einen besonderen Rang, der Verfahrensmängel als besonders gravierend erscheinen lässt (Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rn. 128). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Verfahrensfehler grundsätzlich unverzüglich vom Prüfling zu rügen sind. Mit der Obliegenheit des Prüflings zur „unverzüglichen“ Rüge von Verfahrensfehlern, die durch den das gesamte Prüfungsrecht prägenden Grundsatz der Chancengleichheit gerechtfertigt ist und als ungeschriebene Regel die Prüfungsverordnung ergänzt, wird verhindert, dass dem Prüfling unter Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit ein weiterer, gegenüber anderen Prüflingen nicht gerechtfertigter Prüfungsversuch eröffnet wird. Der Prüfungsbehörde wird damit zugleich die Möglichkeit einer zeitnahen Überprüfung des gerügten Mangels mit dem Ziel einer noch rechtzeitigen Korrektur oder Kompensation eröffnet (BVerwG, B. v. 18.08.2010 – 6 B 24.10 -, juris Rn. 3 mwN, U. v. 15.12.1993 – 6 C 28.92 -, juris Rn. 24, U. v. 07.10.1988 – 7 C 8.88 – juris, Rn. 11, jeweils zu den Anforderungen an die Geltendmachung einer nachträglichen Prüfungsunfähigkeit). Jedoch gilt diese Rügeobliegenheit nicht für alle Mängel des Prüfungsverfahrens. So ist bei einer der Prüfungsordnung widersprechenden Besetzung der Prüfungskommission anerkannt, dass dieser Mangel grundsätzlich nicht nach den dargelegten Grundsätzen unverzüglich zu rügen ist, weil dieser Mangel nicht in die Sphäre des Prüflings fällt, sondern nach den maßgeblichen Rechtsvorschriften von der Prüfungsbehörde selbständig zu beachten ist, während er vom Prüfling nur schwer abgeschätzt werden kann (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 09.03.1989 – 22 A 688/88 -, juris). Nur unter dem Aspekt unzulässiger Rechtsausübung (Verwirkung) kann es dem Prüfling verwehrt sein, sich auf einen solchen Besetzungsmangel zu berufen, wenn er bereits vor Ablegung der Prüfung über die Regelungen der ordnungsgemäßen Besetzung der Prüfungskommission im Einzelnen hinreichend informiert war und es ihm deshalb zuzumuten gewesen wäre, die fehlerhafte Besetzung unverzüglich zu rügen (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 373). Bei einem Verfahrensfehler kann der Prüfling die Aufhebung der Prüfungsentscheidung nur dann verlangen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass sich der Fehler auf das Prüfungsergebnis ausgewirkt hat, er also (wenigstens) möglicherweise von Einfluss auf das Prüfungsergebnis gewesen ist (vgl. BVerwG, U. v. 28.10.2020 – 6 C 8.19 -, juris Rn. 12; B. v. 08.11.2005 – 6 B 45.05 -, juris Rn. 4).
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