Verwaltungsgericht Hannover erlaubte pro-palästinensische Demonstration am Samstag, 15. Juni 2024, am Steintorplatz

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Verbot der Versammlung durch die Polizeidirektion vom 14. Juni 2024 mangels tragfähiger Gefahrenprognose voraussichtlich rechtswidrig

Der Antragsteller, eine Privatperson, hatte am 5. Juni 2024 für den 15. Juni 2024 zwischen 16.00 Uhr und 17.00 Uhr am Steintorplatz eine Demonstration mit 1.000 Personen unter dem Motto: „Leid der Palästinenser. Aktuelle Lage in Gaza (Rafah)“ angezeigt.

Mit Bescheid vom 13. Juni 2024 bestätigte die Antragsgegnerin die Durchführung der Versammlung mit Auflagen. So sollte der Antragsteller auf den friedlichen Verlauf und die konkreten Beschränkungen zu Beginn der Versammlung hinweisen, wozu das Verbot bestimmter Kennzeichen und Parolen und die Aufstachelung zum Hass oder die Billigung des terroristischen Überfalls der „Hamas“ auf das Staatsgebiet Israels sowie das Verbrennen von Gegenständen, gehörten.

Das miteinhergehende Gesprächsangebot, den Ablauf der Versammlung noch einmal mit der einsatzführenden Polizeidienststelle und der Versammlungsbehörde in einer Videokonferenz zu erörtern, konnte der Antragsteller nach eigenen Angaben aus zeitlichen Gründen nicht wahrnehmen, bat aber um schriftliche Übersendung der Fragen, die er detailliert beantworten werde, sobald es zeitlich einzurichten sei.

Nach Angaben der Antragsgegnerin sei erst im Anschluss bekannt geworden, dass u.a. in den sozialen Medien verschiedene Organisationen die Versammlung bewarben. Es bestehe Grund zu der Annahme, dass das benannte Thema nur vorgeschoben sei und die Versammlung möglicherweise stellvertretend für Interessengruppen aus dem salafistischen Spektrum durchgeführt werde. Die Beschränkung sei daher nicht mehr ausreichend. Mit der am Abend des 14. Juni 2024 erlassenen Verbotsverfügung ordnete die Antragsgegnerin auch die sofortige Vollziehung an.

In den frühen Nachtstunden des 15. Juni 2024 gingen am Verwaltungsgericht Hannover sodann Klage und Eilantrag gegen die Verbotsverfügung ein.

Die 10. Kammer hat am gleichen Tag gegen 11 Uhr entschieden, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin vom 14. Juni 2024 wiederherzustellen. Die gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung ist zu Lasten der Antragsgegnerin ausgefallen. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erwies sich die Verbotsverfügung der Antragsgegnerin als voraussichtlich rechtswidrig.

Gemäß § 8 Abs. 2 Niedersächsisches Versammlungsgesetz (NVersG) kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge den Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lässt und daher bei ungehindertem Geschehensablauf zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Auflage oder ein Verbot liegt grundsätzlich bei der Behörde. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig. Insbesondere Versammlungsverbote dürfen nur verhängt werden, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und soweit der hierdurch bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG auch in Ansehung der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit für das demokratische und freiheitliche Gemeinwesen insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren und dem Beitrag, den ein Verbot zur Gefahrenabwehr beizutragen vermag. Für eine Gefahrenprognose können Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indizien herangezogen werden, soweit sie bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen.

Gemessen an diesen Maßstäben war die Annahme der Antragsgegnerin, es bestünden bei Durchführung der Versammlung hinreichende tatsachengestützte Anhaltspunkte für eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, voraussichtlich rechtswidrig.

Soweit die Antragsgegnerin auf den Nahostkonflikt zur Begründung des Verbots verwies, verkannte die Kammer nicht, dass die derzeitige Situation zu einem sehr hohen Mobilisierungs- und Emotionalisierungspotential führt. Allerdings hatte die Antragsgegnerin nicht zureichend dargelegt, dass die von dem Antragssteller angemeldete Versammlung einen unfriedlichen Verlauf nehmen wird und dabei das Leben oder die körperliche Unversehrtheit von Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmern oder Dritten gefährdet würden. Ebenso wenig war die Begehung von Äußerungsdelikten dargelegt. Auch eine Störung des öffentlichen Friedens war nicht indiziert. Sofern sich einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Straftaten hinreißen lassen würden, so waren Maßnahmen zuvörderst gegen diesen Teilnehmerkreis zu richten. Soweit die Antragsgegnerin darauf verwies, dass die Versammlung in den sozialen Medien von den Gruppierungen „Realität Islam“ und „Generation Islam“ sowie „Muslim Interaktiv“ beworben wurde, die allesamt dem salafistischen Milieu entstammten, und dass deshalb zu erwarten stünde, dass das Versammlungsthema nur vorgeschoben sei und auf der Versammlung u.a. die Errichtung eines Kalifats auf deutschem Boden propagiert und für einen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung geworben würde, führte dies zu keinem anderem Ergebnis. Die diesbezügliche Gefahrenprognose trug die Verbotsverfügung nicht. Vorherige Versammlungen mit dem voraussichtlich teilnehmenden Funktionär der „Generation Islam“ liefen friedlich ab. Eine Trennung von männlichen Teilnehmern und Frauen und Kindern und konkrete Äußerungen von strafrechtlicher Relevanz hätten durch Auflagen untersagt werden können. Insoweit wäre die Beschränkung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt, nicht jedoch das Verbot der Versammlung insgesamt. Es war auch nicht dargelegt, das der Antragssteller nicht zur Kooperation bereit gewesen wäre, vielmehr war dieser auf die Forderungen auch zuvor eingegangen und als Versammlungsleiter bisher nicht negativ in Erscheinung getreten. Angebliche Kapazitätsgrenzen der Polizei waren nicht ausreichend dargelegt und rechtfertigten nicht das Verbot der angezeigten Versammlung.

Die Antragsgegnerin hat gegen diese Entscheidung im vorläufigen Rechtschutz keine Beschwerde zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingelegt. Die Versammlung hat sodann am 15. Juni 2024 stattgefunden. Die Polizei konnte die Versammlung ausweislich der Medienberichterstattung offenbar ausreichend schützen. Eine abschließende rechtliche Klärung ist im Rahmen des anhängigen Hauptsacheverfahrens möglich.

Quelle : Niedersachsen.de

Bilder: Titel Symbolbilder Niedersachsen by Pixabay.com / Niedersachsen.de

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