- Die Regulierung der großen Online-Plattformen nimmt Fahrt auf. Die französische Ratspräsidentschaft hat dabei einen Gang hochgeschaltet und kürzlich bereits den Digital Markets Act zum Abschluss gebracht. Auch die Trilogverhandlungen zum Digital Services Act (DSA) befinden sich in den letzten Zügen.
- Das Ziel ist klar: Illegale Inhalte sollen von den Plattformen runter. Denn auf sozialen Netzwerken gehören Mord- und Gewaltaufrufe, extremistische und antisemitische Inhalte aktuell leider noch zur Tagesordnung. Es zeichnet sich bereits ab, dass Plattformen mit dem DSA bald europaweit verpflichtet werden, bei strafbaren Inhalten einzugreifen und deutlich besser mit den Behörden zu kooperieren.
- Es stellen sich damit dringliche Fragen nach den Auswirkungen des DSA auf die nationale Gesetzgebung, einer effektiven Um- und Durchsetzung und der Balance zwischen Meinungsfreiheit und Regulierung. Dazu hatten wir am 24. März 2022 zu einem Parlamentarischen Frühstück eingeladen.
„Digital Services Act: Zwischen Schutz vor illegalen Inhalten und Wahrung der Meinungsfreiheit“ lautete der Titel dieses fachlichen Austausches. Mit Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen sowie Expertinnen und Experten des Bündnisses F5 (Wikimedia Deutschland, AlgorithmWatch, Gesellschaft für Freiheitsrechte, Open Knowledge Foundation Deutschland und Reporter ohne Grenzen) diskutierten wir über Erfahrungen, Einschätzungen und Ideen für die Umsetzung des DSA in Deutschland.
Dr. Justus Dreyling, Referent Internationale Regelsetzung bei Wikimedia Deutschland, betonte, dass der DSA sinnvolle Verfahrensregeln für den Umgang mit illegalen Inhalten vorschreiben würde, insbesondere durch ein „Notice and Action“-Verfahren. Er merkte aber an, dass sich der Verordnungsentwurf vor allem an den großen kommerziellen Plattformen orientiere. Es sei fraglich, ob die Regeln für die Moderation von Inhalten dem Community-basierten Moderationsmodell der Wikipedia am Ende ausreichend Rechnung tragen werden. Entscheidend in den aktuellen Verhandlungen sei, ob eine Plattform ab Meldung oder erst nach Prüfung eines Inhalts so behandelt wird, dass sie Kenntnis habe.
Lisa Dittmer, Referentin für Internetfreiheit bei Reporter Ohne Grenzen, zog eine Lehre aus dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Plattformen würden weiterhin vor allem nach Hausregeln moderieren und sich damit Transparenz- und Nutzerrechten entziehen. Sie wies darauf hin, dass die Achtung von Meinungs-, Informations- und Medienfreiheit deswegen über den DSA verpflichtend in die Nutzungsbedingungen der Plattformen festgeschrieben werden sollte. Eine andere Maßnahme sei, die Sichtbarkeit vertrauenswürdiger Information zu erhöhen, wie es im Rahmen der Krisenprotokolle des DSA vorgesehen sei. Sie verwies auch auf das Projekt „Journalism Trust Initiative“, das eine praktische Antwort auf die schwierige Frage gibt, wie vertrauenswürdige Quellen überhaupt definiert werden können.
Dr. Angela Müller, Leiterin Policy & Advocacy bei AlgorithmWatch, sprach aus einer forschungsorientierten Perspektive über Plattformen und ihren Einfluss auf die Gesellschaft. Das Wissen über die gesellschaftlichen Auswirkungen von Plattformen sei immer noch anekdotisch, auch weil die Akteure mitunter Forschung im öffentlichen Interesse verhinderten – zum Beispiel als AlgorithmWatch sich durch Druck von Instagram gezwungen sah, ein Forschungsprojekt auf dem sozialen Netzwerk einzustellen. Ein starker, verpflichtender Zugang zu Forschungsdaten sei zentral, da er die Rechenschaftspflicht der Plattformen und ihrer neuen Auditoren sicherstellt. Geschäftsgeheimnisse dürften zudem nicht öffentliche Transparenz verhindern. Eine unbeantwortete Frage sei derzeit, wie für neue Forschungsmethoden wie zum Beispiel Datenspenden Rechtssicherheit geschaffen werden kann.
Auf dem Weg zu einer pluralistischen Grundversorgung mit Informationen
Aus unserer Sicht ist entscheidend, dass bei aller notwendigen Regulierung keine wichtigen Grundwerte untergraben werden. Dazu gab es in den vergangenen Monaten eine leidenschaftlich geführte Debatte über die Medienfreiheit im Digital Services Act. Es ging hier etwa auch um die Frage, ob die Europäische Kommission – als Teil der Exekutive – Aufsichtsaufgaben für die besonders großen Online-Plattformen übernehmen sollte. Das ist eine nicht unerhebliche Frage, angesichts unserer in Deutschland staatsfern organisierten Regulierung.
Weiterhin müssen wir uns damit befassen, wie eine gemeinsame Basis für den sachorientierten, demokratischen Diskurs gefunden werden kann, denn die Fragmentierung von Öffentlichkeit im Digitalen schreitet fort. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt dabei eine wichtige Rolle zu, da er staatsfern organisiert ist und von allen Bürgerinnen und Bürgern finanziert wird. Aber auch andere Organisationen wie die Wikipedia, Reporter Ohne Grenzen und AlgorithmWatch tragen wesentlich zu einer faktenbasierten Informationsbeschaffung und Informationsvermittlung in einer immer digitaler werdenden Gesellschaft bei, die es zu schützen und zu fördern gilt.
Als grüne Bundestagsfraktion werden wir diese Aspekte bei der Umsetzung des Digital Services Act eng begleiten. Dazu gehört auch die Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, ein Gesetz gegen digitale Gewalt und das Demokratiefördergesetz, um weitere gesellschaftliche und rechtliche Strukturen für die Verteidigung unserer pluralistischen Öffentlichkeit zu schaffen.
Original Quelle: Bündnis 90 / Die Grünen
Bilder Quelle: Pixabay / Copyright Bündnis90/Die Grünen
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